28. November

 

 

Donnerstag

*

 

 

Halb sieben Ortszeit wach nach einer Nacht auf dem städtischen Land 

Hineingeglitten nun doch in den Rhythmus des Lebens hier 

Liegen & spüren 

Den Hähnen zuhören 

Springe fröhlich aus meinem

Bett und schaue aus dem Fenster

*Rosaliches himmelgrau über dem winterschlafenden Garten *

heißes Wasser 

Zurück ins Bett 

Liegen & spüren 

Den Hähnen zuhören 

So dankbar 

Mehr braucht es nicht 

 

*

 

Ein Zimmer bei Artur 

Ein Zimmer nach Süden mit Blick zum Ararat 

Arturs Frau Sona malt 

Stillleben 

Seine Tochter studierte Malerei

An der Sorbonne 

Seitdem sie 2018 das Dachgeschoss ausbauten mit 4 Gästezimmern kümmert er sich um Haus und Garten und Wein und Wodka und Gäste 

Gastgebender Vollprofi sozusagen 

 

*

 

Frühstück mit Lavash, Reibekuchen und Spinat 

&

S m e t a n a 

Hatte schon Abschied genommen 😉

Artur ist nicht davon abzubringen, uns die lange Straße und dann rechts rum ins kleine Zentrum zu fahren 

Ok ok dann fahren wir eben 

 

*

Heute ist Kirchentag bei feuchtkaltem Wetter 

Bin bereit für den Vatikan der Armenier 

Nun ja

fast (geb ich zu) 

*

 

 

 

 

Kirche

Kirche

Kirche

und dann noch mal 

Kirche

Hab ich schon gesagt, dass heute Kirchentag ist 😉

Und Gatatag 

Gata ist ein süßes Brot gefüllt mit einer herrlich buttrigen Zuckermischung 

Schon lang bin ich auf der Suche danach frisch vom Bäcker 

Und nun endlich ist es soweit 

Jiphijee: Gata für Kati 

 

 

Und dann auch noch eine LavashBäckerei, wenn auch nicht traditionell…

Lavash wird gegessen vor dem Essen, nach dem Essen und zum Essen erst recht 

Guck mal …

 

 

Und dann: 

Nicht bei den “touristischen” KirchZielen mit Souveniershop sondern in einer der kleinen „Alltagskirchen“:

*

eine Hochzeit

*

Mein Wunsch hier war: 

eine Taufe 

eine Hochzeit 

eine Beerdigung 

Etwas enttäuscht, dass die Trauung schon vollzogen wurde und das Paar schon bei den Tauben angelangt ist, gehen wir auch in diese Kirche und staunen: 

Eben wird dort noch ein Paar getraut 

So ein Glück …

 

 

Also wirklich ein Kirchentag. 

Aber so richtig. 

Denn es steht beim Weiterlaufen durch das Städtchen schon auf dem Weg zurück zu Artur zum Abendessen die nächste Kirche rechts vor uns und wir sehen: 

Kränze …

die gerade vor der Kirche aufgestellt werden. 

Was ein Glück

Also für mich meine ich 

Wir gehen hinein. 

Alles ist leer. 

Zwei Frauen stehen links nah am Eingang am kleinen Kerzenstand und unterhalten sich. Sie scheinen hier zu arbeiten. 

Anders als sonst stehen Bänke im Raum. Zur Raummitte gerichtet. 

Mittig ein Tisch. 

Für den Sarg. 

Noch leer. 

 

 

Wir treten nicht tiefer in den Kirchraum hinein. 

Bleiben gleich rechts direkt neben der Tür wo eine Bank steht 

Eigentlich verabredet zum Abendessen schauen wir uns an und es ist klar, wir bleiben. 

Alle Zeit der Welt 

Sitzen wir da 

Rücken an die Wand gelehnt und machen nichts 

Vielleicht ne Stunde lang

Nichts außer sitzen und atmen und unsichtbar werden 

Plötzlich geht die Tür auf. 

Musik geht an. 

 

 

Ein halboffener Sarg wird von 8 Männern hineingetragen und auf den Tisch gestellt. 

Mindestens 30 Männer folgen. 

Und bleiben stehen. 

(In den Kirchen hier wird gestanden.) 

Der Raum erfüllt von 

mitteljungen Männern 

mittelalten Männern 

älteren Männern 

alten Männern 

… und dem Verstorbenen 

Männer in schwarz mit frischgeputzten Schuhen. Und Aftershave. Und verstohlenen Tränen. In Weihrauchduft. 

Es wird umarmt. Geküsst. Hände werden gehalten. 

Zusammen geschwiegen. 

Leise murmelnd geredet.

Nach unten geschaut. 

Noch oben geschaut. 

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt. 

Die Finger in ringender Bewegung. 

Männer unter sich

Ich an der Wand gelehnt die einzige Frau. Zum Glück unsichtbar. Die anderen beiden sind auch nicht mehr zu sehen. 

Wo nur sind die Frauen???

frage ich mich 

Plötzlich fliegt die Tür auf. 

Eine Welle von Trauer schwingt hinein 

und die Frauen strömen in den Raum, nicht viele, 8, 9, 10, 11 und mit ihnen die Tränen

Tränen

Tränen

Tränen 

Und der offensichtliche klagende Schmerz 

Sie stehen um den Verstorbenen. 

Ein zärtliches Streicheln

Sanfte Küsse 

Berührungen des Unfassbaren 

*

Abschied 

*

 

 

Die Männer stehen. 

Die Frauen sitzen. 

Links auf den Bänken. 

Und es beginnt ein Kommen und gehen. 

Leise Musik 

Murmelnde Stimmen 

Das Weinen der Frauen 

Ein Kommen und Gehen von vor allem Männern 

100

150 

Wer weiß …

Wir würden gerne bleiben 

Das Abendessen wartet auf uns 

Zum Glück 

 

Und Artur erklärt uns: 

 

gestern gestorben 

heute ab 17, 17.30 Totenehrung 

morgen 13 Uhr Beerdigung 

 

 

*

 

 

 

weiter…