2014 reiste ich zusammen mit Adriaan zum ersten Mal nach Asien.
Sri Lanka.
9 Wochen unterwegs sein in dieser für mich völlig andersartigen Kultur – mit einer kleinen Umhängetasche für unsere wenige Kleidung und einige persönliche Dinge.
Es war ein großes Staunen.
Ein großes Überfordertsein.
Und es war die Suche nach Vertrautheit.
Es war ein ganz langsames Ankommen.
Oft begleitet von lebensphasebedingtem, dauererschöpftem entgrenztem heiligen Gemecker.
Mäh. Mäh.
Zurück in Deutschland war klar, wir würden wieder reisen.
2015
Sri Lanka.
8 Wochen.
Vorfreude!
Dieses Mal begleitet von Steffen.
Dieses Mal war es nun für ihn ein großes Staunen. Überfordertsein. Vertrautheit suchen.
Manchmal begleitet von heiligem Kopfschütteln.
Mäh. Mäh.
Ich jedoch war anders als im Jahr zuvor sofort da und konnte mitgehen mit all dem nur noch scheinbar Andersartigen.
Ich war so viel freier – wenn auch nicht bereit, wieder von Ort zu Ort reisend unterwegs zu sein.
Ich wollte ankommen und bleiben.
Wir blieben.
In einem kleinen Dorf ganz nah der alten Hauptstadt Anuradhapura. Gelegen im archäologischen Gebiet. Dort, wo einmal vor langer, langer Zeit 6000 Mönche lebten.
Hier im kleinen Dorf inmitten einer Familie mit dem kleinen Joshite, seiner großen Schwester Jashoda, Papa und ihrer Mama, Nangi, jüngere Schwester, die täglich für uns kocht, habe ich Zeit, alles wirken zu lassen.
Hier, im Garten sitzend, den Kindern beim Spielen zuschauend, jeden Tag unsere Wäsche mit der Hand waschend, mit täglichen langen stillen Stunden am Bodhibaum, DEM heiligen Ort in Sri Lanka, habe ich Zeit & Raum, tiefer zu schauen.
Und ich gehe auf die Suche nach dem was uns alle, was uns Menschen verbindet.
Und während dieser Suche erkenne ich für mich, nicht nur theoretisch als Konzept irgendwo gelesen, dass wir im Urgrund alle alle das Gleiche tun. Und in diesem gleichen Tun, so nah sind, so eins sind miteinander.
Wir schlafen, wachen auf, pflegen uns, egal ob mit der Zahnbürste, einer Wurzel oder nur den Fingern. Haben Hunger & Durst. Trinken & essen etwas. Egal ob Wasser aus dem Fluss, der Plastikflasche, Regenwasser, Cola oder Kaffee am Morgen.
Wir haben alle ein Zuhause. Ob in der Villa am See, oder die kleine Wohnung auf der lauten Hauptstraße, ein vertrauter Ort unter der Brücke, das kleine eigene in den Blechhütten der Slums. Ein Ein-Zimmerhaus aus Lehm, ein Häuschen aus Feldsteinen, ein Zelt oder ein Iglu. Oder als immerwährend Reisende unter der Weite des Himmels.
Wie gehen alle unserem Tagewerk nach, als Schuhputzer, Schneider, auf dem Feld und im Wald, bei der Jagd mit Pfeil und Bogen oder beim Fischen. Im Büro, im Kindergarten, als Bauarbeiter, oder im hohen Management. Oder als Hausfrau.
Wie sind zusammen mit anderen Menschen. In der Familie, mit Kollegen, Freunden, Clanmitgliedern, Cliquen, Sippen oder in der tief verbundenen Dorfgemeinschaft im Urwald. Unserem Stamm.
Wir lieben und wir streiten uns.
Haben Sorgen.
Wollen mehr vom Leben. Leben viel zu wenig. Oder sind zufrieden mit dem was ist. Wir waschen Wäsche. Mit der Maschine. Am Fluss. Oder in der großen Schüssel mit zitronig duftender Seife. Oder einfach nur mit etwas mühsam errungenem Wasser von irgendwo.
Wir kochen. Über Feuer. Oder Gas. Induktion oder Mikrowelle. Wir kochen, um etwas wohltuend Wärmendes zu essen.
Wir laufen. Auf kaum sichtbaren Pfaden irgendwo im Dschungel. Auf Waldwegen. Schotter. Landstraßen. Chausseen.
Und irgendwann fahren wir. Mit dem Fahrrad. Dem Moped. Dem Tuktuk. Dem Auto. Dem Zug oder dem alten stinkenden Bus. Auf engen oder breiten Straßen. Oder im Boot auf dem See oder den großen Ozeanen. Und woanders wird geritten – auf dem Pferd, dem Esel, dem Kamel oder auf Elefanten. Auf weiten staubigen Wegen. Oder in der Wüste.
Wir haben Kummer.
Unsicherheiten.
Zweifel.
Werden verletzt. Verletzen. Manchmal bis tief hinein ins Knochenmark.
Empfinden Wut, Trauer und Scham.
Angst.
Und Freude.
Verschenken uns
Wir gebären Kinder. Um die wir uns dann sorgen. Vielleicht ein Leben lang.
Werden alt.
Vielleicht sind wir reich, vielleicht bleiben wir arm.
Und wir sterben.
Ja.
Wir sterben.
Überall auf der Welt ist es in der Essenz das gleiche.
Ja.
Egal ob bei indigenen Völkern, in New York oder bei den Eskimos.
Egal ob auf Sri Lanka, Gran Canaria, in Deutschland oder in Nepal.
Ja.
Das wirklich zu erkennen, nicht nur als theoretisches Modell zu wissen, sondern zu erleben, erschütterte mich auf zutiefst heilsame Weise.
Und all das nun, begegnete mir mit neuer Tiefe so vertraut in Nepal.
Wir sind in der Essenz alle gleich.
Wir sind alles Menschen.
Brauchen alle Sicherheit.
Brauchen alle Liebe
Brauchen alle Fürsorge.
Brauchen alle die Verbundenheit & das Freisein.
Wollen uns entwickeln, wollen uns entfalten.
Wollen gesehen werden, wollen gehört werden.
Und wahrgenommen.
Werden vielleicht sogar erkannt.
Als Menschen.
So wie wir gemeint sind.
Oft saßen wir im sandigen Garten unter den Palmen, die der Familie Kokosnüsse schenkten, unweit der großen Grube wo aller Müll, auch die Plastikflaschen hineinkamen, um später verbrannt zu werden (während ich das schreibe, steigt dieser Geruch in meine Nase, so vertraut). Und diese Grube (auf jedem Grundstück gibt es diese Grube) die 2014 noch eine Quelle westlich gefärbter Entrüstung war, eine große klimatechnische und gesundheitliche Herausforderung, wurde für uns zu einem dankbaren Ort einer einzigen großen Freude:
Sie ist nun ausschließlich unser Tierbeobachtungsort. Mehrmals am Tag kommen hier die Mangus vorbei, die Hunde, ein Hase, die Papageien, Schlangen, die Katzen, ein DschungelPfau, Streifenhörnchen, zwei schillernd bunte Hähne, ein Leguan, ein Chamälion, die Affen und viele viele bunte Vögel. Und dazu liegt unser Elefantenpups noch immer auf der Veranada. Herrlich. Und alle essen die Reste aus der Grube, denn natürlich landen auch die Küchenabfälle dort. Diese Abfälle machen die Grube zu einem wichtigen Überlebensplatz für all die Hungrigen. Ganz oft nebeneinander.
Und an dieser Grube verstehe ich.
Plötzlich verstehe ich alles.
Tief in mir verstehe ich.
Auch wenn ich es damals noch nicht auf den Punkt formulieren kann.
Das Formulieren geschah im letzten Jahr.
2022.
Sieben Jahre später.
Ein Freund teilte eines seiner wichtigen Lebenszitate. Ein Zitat von Albert Schweitzer, DAS Zitat von Albert Schweitzer mit dem ich nun diese lange, in ihrem Kern nie endende Reise fast, ja fast beenden möchte:
*
„I c h b i n L e b e n d a s l e b e n w i l l, i n m i t t e n v on L e b e n,
d a s l e b e n w i l l.“
Ja …
Ein einziges großes J A
*