Wie mein Jahr 2016 begann: erschöpft …

 

Meiner Begeisterung für den Blick der Chinesischen Medizin auf den Menschen und unsere Einbettung in alles was uns umgibt und durchdringt – sichtbar und unsichtbar – und dem ganz besonderen Wissen und DaSein meiner chinesisch-schamanisch wirkenden Ärztin habe ich es zu verdanken, dass mein Jahr 2016 mit einer Erfahrung begann, die sich tief in mir ausgebreitet hat. Meine Dankbarkeit geht dabei auch an die mir unbekannte Chiara, die mich durch ihren sehr persönlichen Kommentar im Blog meiner Ärztin dazu brachte, etwas zu tun, worauf ich noch nicht selbst gekommen war: Das „KrankSein“ mit allem was dazugehört, wirklich zu fühlen.

 

Februar 2016

Liebe Chiara,

nach einiger Zeit des Suchens habe ich jetzt deinen Eintrag gefunden.

Ich möchte dir danke sagen, dass du vor einigen Monaten hier geschrieben hast.
Damals dachte ich, sollte ich irgendwann mal wieder krank im Bett liegen müssen, werde ich genau das gleiche tun wie du:

Fühlen

Nicht lesen, keine Musik hören, keine schönen Bilder anschauen. Kein Handy. Kein Radio. Mich nicht ablenken.
Nein.
Fühlen.
Und das habe ich vor einigen Wochen tatsächlich getan.

Ich hatte 12 Stunden täglich im Rahmen eines 14-tägigen MeditationsRetreats 2 x 23 Menschen nicht nur kochend umsorgt.
Es waren zum ersten Mal zwei so große Gruppen.
Und es war zu viel. Für mich.
Es folgte eine enorme Erschöpfung.
Fühlbar in jeder Zelle.
Fühlbar in jeder Bewegung.
Fühlbar überall in mir.

Und dann kamen zwei sehr besondere Tage.
Besondere Tage, weil ich keine Kraft hatte, zu denken.

Ich war auf dem Land.
Ein kleines Zimmer mit Blick in die Wolken, unweit vor dem
ebenerdigen Fenster ein alter knorriger Apfelbaum,
zwei weiße Schafe und ein Schwarzes auf der Wiese.
Vertrocknete Rosen umsäumten das Fenster.
Zeit auf dem Land.
Ein warmes Bett mit Wärmflasche, das Fenster weit offen.

Ich lag einfach nur da und fühlte mich von innen.
Eine Art natürliches stilles Dasein. Man könnte es meditativ nennen.
Frei von Gedanken.
Dank der Erschöpfung.
Dank der Schmerzen an unterschiedlichen Stellen meines Körpers.
Fühlen. Wahrnehmen. Schlafen. Aufwachen.
Spüren.

Ich konnte bemerken, wie die Kraft wegsickerte, sobald ich versuchte zu denken.
Ich konnte bemerken, wie ich mich erholte, wenn ich spürte, all das Ziehen, Zerren,
Krampfen, Drücken, die Kälte, das Stechen, die dumpfen Schmerzen.

Ich spürte wie ich tief sank, in mich hinein.
Wie ich fast wie losgelöst vom Körper da lag, so schwer, in tiefer Stille.
Ein bisschen wie Sterben.

Irgendwann lief eine warme ölige Träne aus meinem linken Auge.
Irgendwann kamen flüchtige eindringliche Bilder verbunden mit flüchtigen eindringlichen Gefühlen.
Erinnerungen.
Sie durchliefen mich ohne Spuren zu hinterlassen.

Ich erkannte an diesen zwei Tagen, dass es (für mich) nicht (mehr) wichtig ist, zu wissen, zu analysieren, in Verband zu stellen, Ursachenforschung zu betreiben, Beziehungen zur Kindheit zu versuchen. Alles nur Wörter, alles nur denken, alles nur Konstrukte des Geistes der Kontrolle haben möchte über die eigene LebensGeschichte, den eigenen Lebensweg.

Wenn ich tief in mir fühle ist alles da

Wenn ich mich tief an mich hingebe mit allem was da ist an Aufsteigendem und Absinkendem, dann wächst ein Verstehen, dass nicht aus dem Geist kommt.
Dann bin ich trotz Erschöpfung ganz, dann bin ich auch mit Wut in mir heil,
dann sind Trauer und Freude und Angst in ihrer Essenz ein und dasselbe,
dann ist alles Sein.

Seitdem ist mein Geist verändert.
Seitdem sind meine Gedanken verändert.
Seitdem sind meine Gefühle verändert.
Seitdem verändert sich mein Körper.

Obwohl ich ähnliches aus langen Meditationsretreats kenne, bin ich tief erstaunt darüber was seitdem geschieht.

 

Von Herzen danke an alle Menschen der Wuppertaler Jahresgruppe 2015/16, die an diesem für mich ganz besonderen Wochenende im Januar 2016 selbst für sich kochten und deren Üben und stille Anwesenheit auf Hof Fahrenscheidt mir dabei halfen, so tief sinken zu können. Denn ‚du kannst deinen Weg nur alleine gehen, aber allein kannst du ihn nicht gehen.‘