Sabine – eine gute Freundin hat heute einige gemeinsame Fotos auf Adriaans Facebookseite gepostet – Erinnerungen an unser überraschendes Zusammensein auf Sri Lanka vor 2 Jahren. Und nun sitze ich hier und lese meine Erlebnisse von damals. Ich schrieb sie damals auf, um meine kranke Großmutter durch meine Augen mitreisen zu lassen. Sie las sie dann im Betreuten Wohnen beim Nachmittagstee ihrer Viererbande vor und so reisten die fünf alten Herrschaften aus der Wohnanlage in großer Freude mit mir mit. Unsere CD 4 Den ganzen Körper spüren im Rahmen unseres Meditationskurses für Zuhause ist auf Sri Lanka, in Anuradhapura aufgenommen, in der Tempelanlage von der gleich zu lesen ist.
Sonntag, 15. Februar
Ich bin allein
Wirklich allein
Die Jungen – Adriaan und Steffen – sind heute Morgen um 6 Uhr mit dem AC-Bus zwei Stunden Richtung Süden gegangen – nach Dambulla, um ein altes Höhlenkloster zu besuchen.
Ich habe lange geschlafen, wieder eine Nacht mit intensiven Träumen, die mich in die Vergangenheit reisen lassen, in die Vergangenheit mit ihren sehr und weniger nahen Menschen. Und auch von meiner alten Berufung träumte ich – meiner Arbeit und von Sanni und Anne, von Oma Lieselotte und meinem verstorbenen Großvater. Ja, eine Zeit der Träume ist es hier – auch für die anderen.
Mit dem Loslassen kommen sie – intensiv und klärend
Der kleine Joshite hüpft den Weg entlang. Die kleine weiß-schwarze Katze miaut. Aus dem Haus dringen die Stimmen von Nangi und Jashoda, die eben von der Sonntagsschule im Tempel zurückgekommen ist.
Und ich sitze im Schatten unserer Veranda. Die letzten Tage sind sehr warm geworden, fast den ganzen Tag über scheint die Sonne. Sie macht meine Schritte langsamer und schwerer, nach Ausflügen auf dem Rad geht es sofort unter die kalte Dusche.
Unsere frisch gewaschene Wäsche flattert im Wind. Fast jeden Tag sitze ich auf den Stufen der Veranda über eine große rotbraune Plastikschüssel gebeugt und wasche mit der Hand und einem Stück gelber Zitronenseife unsere Kleidung. Was ich mir in Deutschland so gar nicht vorstellen kann weil es nicht notwendig ist und gar nicht die Zeit dafür da wäre, macht mir hier große Freude. Alle waschen hier immerzu mit der Hand die Wäsche, die dann auf den Stacheldrahtzäunen zum Trocknen gehängt wird. Es ist die Arbeit der Frauen und Mädchen, die hinter dem Haus zwei Steine zu liegen haben – einen um die Wäsche zu waschen und darauf auszuschlagen, den zweiten um Kräuter zu zermahlen.
Nach dem Frühstück setze ich mich glücklich lachend auf mein weißes Fahrrad, das seit einigen Tagen schon eine rote Klingel und ein rotes Schloss schmückt. Und ich fahre so wie gestern Abend allein zum Bodhi-Baum.
Es ist Wochenende und an den freien Tagen sind viele viele Menschen, Familien, Alt und Jung unterwegs zum Baum.
Ich rolle an unserem Familienhaus vorbei, hinaus auf die Dorfstraße, vorbei am Dorftempel, unserem heute am Sonntag geschlossenen Gemüseladen, hin durch den Geruch von verbranntem Plastikmüll. Auf jedem Grundstück gibt es eine Grube im Garten, in der der alltägliche Müll gesammelt und dann verbrannt wird. Diese Grube, die für uns um letzten Jahr noch eine klimatechnische und gesundheitliche Herausforderung darstellte, ist in diesem Jahr zu einer einzigen großen Freude geworden: Sie ist nun ausschließlich unser Tierbeobachtungsort. Mehrmals am Tag kommen dort die Mangus vorbei, die Hunde, ein Hase, die Papageien, Schlangen, die Katzen, ein DschungelPfau, Streifenhörnchen, zwei schillernd bunte Hähne, ein Leguan, ein Chamälion, die Affen und viele viele bunte Vögel. Und dazu liegt unser Elefantenpups noch immer auf der Veranada. Herrlich. Und alle essen die Reste aus der Grube, denn natürlich landen auch die Küchenabfälle dort. Diese Abfälle machen die Grube zu einem wichtigen Überlebensplatz für all die Hungrigen.
Ich fahre auf meinem weißen Rad mit roter Klingel und rotem Schloss durch die Sonne an den gelblich-grünen fast erntereifen Reisfeldern entlang, durch die Ruinen hindurch (wir leben im archäologischen Gebiet), am Lotusblumenteich vorbei zum Tempel.
In meinem Kopf singt es: links, links, links, links, links, links …..
Ja, links fahren ist angesagt und es fällt mir manchmal schwer, es nicht zu vergessen. Aber irgendeine Hupe erinnert mich immer wieder daran und lachend schwenke ich auf die linke Seite der Straße während TukTuks, Busse, Autos oder Motorräder mit ihren Frauen Kindern und Männern fröhlich winkend an mir vorbeiziehen.
Ich rolle an den Polizistenstationen vorüber und überall winken mir auch hier lachend die uniformierten Männer zu. Ja, wir sind wieder da. Viele haben uns vom letzten Jahr her erkannt. Das ist wirklich ein schönes Gefühl. Ein kleines bisschen wie in meiner Heimatstadt auf den Markt gehen zu den Bauern, die wissen wer da kommt und sich freuen…
Ich bin da, ich bin da …
Mein Fahrrad parke ich unter den Blicken der Polizisten an gewohnter Stelle und laufe dann die letzten 30 Meter durch die warme Sonne auf das große Tempelgelände.
Meine Schuhe gebe ich bei der alten weißhaarigen, wenig bezahnten Frau in ihrem kleinen Blechhäuschen mit langen Regalen am Eingang zum Bodhibaum ab. Bevor sie mir eine handgeschriebene Papiermarke mit der Zahl 35 in die Hand drückt schaut sie mich fragend an: Where your husband? Wo ist dein Ehemann? Ach schön, das werde ich heute noch öfter gefragt. My husband is with the bus in Dambulla. Oh, nice.
Ich passiere die lachende Sicherheitskontrolle und stehe im gelben Kiessand. Überall bin ich umgeben von weiß gekleideten Menschen, ihren Stimmen, dem Kinderlachen, ehrfürchtig schauenden Touristen mit ihren großen Fotoapparaten. Und ich stehe einfach nur da und nehme diesen auch mir so wichtigen Ort auf.
Das großzügige, von alten Mauern umgebende quadratische Gelände ca. 150 x 150 m2 besteht aus drei etagierten Ringen, die um den etwas unscheinbaren Baum gebaut sind. Jeder Stein der Mauer ist nummeriert, von innen wie auch von außen.
Auf den Mauern tummeln sich immer wieder die Affen und wenn sie ganz mutig sind, laufen sie zu den Andachtsstellen die sich über das Gelände verteilen und klauen Blüten vom Altar, die sie dann auf den Bäumen hockend fressen. Der ganze Hof ist voller feinem oder gröberen gelbrötlichem Kieselsand, der ständig von Menschen gekehrt oder glatt gezogen wird. Sie fegen die Blätter zusammen die von den vielen hoch gewachsenen Bodhibäumen, die zusätzlich zu dem ganz Alten dort stehen, hinunterfallen. Meist passiert das Fegen in großer Ruhe und andächtig mit einem Kokosbesen und es wirkt als würden sie die Erde streicheln, so zart und ruhig geschieht es. Überall sitzen Menschen auf dem Boden, unterhalten sich leise oder murmeln ihre Texte die sie zum Teil aus kleinen Büchern oder Heftchen im Singsang lesen. Ganze Familien sitzen dort, viele viele Kinder mit ihren Eltern, manchmal wirkt es als sei ein ganzes Dorf gekommen. Im Uhrzeigersinn wird der Baum langsam dreimal umkreist; für Buddha, seine Lehre und die Gemeinschaft. Dann steigen sie die 20 hohen Stufen hinauf auf den nächsten Ring und kommen so dem Baum näher. Auf diesem Ring in jeder Himmelsrichtung ein Altar mit einer Buddhafigur, auf ihm liegend die vielen vielen Lotusblüten, das Obst, Geld. An einem stehen drei Priester und verteilen gegen Geld ihren Segen – so mutet es an – und ein Bändchen findet danach seinen Platz am Arm des Gesegneten.
Ich laufe, lasse mich mittragen vom Strom der Menschen die den Baum umkreisen. Der Sand ist heiß und trocken und rauh unter meinen Füßen, ein Lächeln liegt auf meinem Gesicht. Ich bin eingehüllt von Menschen die mit gefalteten Händen vor dem Herz laufen. Über allem liegt die Rezitation eines Mönches, die über die großen Lautsprecher übertragen wird. Und die Menschen murmeln sie mit – in einem Gleichklang der mich inmitten der Worte schweben lässt. Ja, Steffen hat recht: Ein Ort wird erst durch die Hingabe der Menschen zu einem heiligen Ort. Ich umrunde den Baum zweimal, beim dritten Mal trete ich auf der zweiten Ebene durch eine auf dem Boden sitzende, rezitierende Menschenmenge hindurch in eine weiß gefließte, von Tonlicht erleuchtete Halle, in der eine vielleicht 4 m hohe Buddhafigur wohnt, vor ihr wieder Unmengen an duftenden Blüten, davor knieende, sitzende, sich verbeugende Menschen, die Hände in Namaste vor dem Herzen oder der Stirn.
Der ganze Boden ist von ihnen übersät, doch zwei Frauen sehen mich, rücken und so öffnet sich ein Platz für mich auf diesen weißen Fliesen unter all diesen Menschen. Schnell lasse ich mich nieder, sitze auf meinen Knien, verbeuge mich Richtung Altar und tauche ein in die Menschen, die in einer Stimme rezitieren. Und um mich herum der Duft von Blumen und Seife. Sie riechen oft so gut, so herrlich frisch gewaschen die Sri Lankesen, und nein nicht nach Parfüm. Nach Seife. Wie sehr ich das genieße. Der Duft von Sauberkeit, der sich hier mit großer Fröhlichkeit verbindet, denn überall am Wasserreservoire gehen die Menschen umhüllt von großen Tüchern baden und seifen sich ganz ein, mit viel Schaum und viel Lachen dabei.
Und ich sitze hier in dieser Wolke von reiner Freude und automatisch beginnt mein Körper zu schwingen und ich tauche ein in den weiten Raum der Stille inmitten der vielen Stimmen…
Sadu, Sadu, Sadu.
Jede Rezitation endet mit diesen Worten.
Es ist vorbei. Alle erheben sich, auch ich, viele verlassen die Halle durch eine der drei Türen und ich suche mir einen neuen Platz, nah der Tür, an die ich mich anlehnen kann und von der aus ich einen guten Überblick habe.
Plötzlich setzt sich eine alte Frau vor mich nieder. Sie strahlt mich an, verbeugt sich vor mir, verneigt sich zum Boden. Sucht wieder den Blick meiner Augen, spricht einen Satz, schaut mich lange an. Dann steht sie auf, verneigt sich wieder und geht.
Puh …
Ich sitze da und bin noch tiefer berührt als ich es eh schon bin. Sofort steigen Fragen in meinen Kopf, aber die will ich jetzt nicht denken. Der Moment dieser Ehrerbietung ist zu schön, um mit Fragen seziert zu werden. Ich sitze im Lotus auf meinem weißen Tuch und tauche hinein in meinen Atem, über den ganzen Atemzug, spüre ihn über den ganzen Körper,
lasse los
immer wieder
Wie lange ich so sitze weiß ich nicht
Ich spüre wie Menschen kommen und gehen
wie es leiser wird und wieder lauter
Manchmal ist die Halle fast leer, um Sekunden später wieder fast ganz erfüllt von Menschen zu sein.
Als ich die Augen wieder öffne, fällt mein Blick als erstes auf ein kleines Mädchen in einem weiß-rosa Kleidchen. Ca. 6 Meter von mir entfernt tapst sie herum. Sehr neu auf dieser Welt, ist ihr Laufen noch suchend, wackelig.
Und sie kommt auf mich zugelaufen. Wankend, mit meinen Augen verbunden, läuft sie auf mich zu, der Papa bemerkt ihr davongehen und will sie aufhalten. Doch ihre Mama hat gesehen wie zielgerichtet sie zu mir läuft und lässt es geschehen.
Und dann steht sie vor mir, schaut mich still an, tritt nah an mich, streckt ihr Ärmchen aus und legt ihre Hand auf meine Wange
…
..
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Tränen steigen langsam auf und füllen meine Augen …
Und dann ist er vorbei – dieser bewegende Moment
Dem Papa ist es peinlich, dass seine Tochter mich einfach so berührt, so wirkt es …
Leider …
Er nimmt sie auf den Arm, läuft langsam mit der Mama, die mich immer wieder anschaut zur Tür. Das Mädchen schaut zu ihrer Mama, dann wieder zu mir – bis die Tür hinter ihr liegt
Da sitze ich nun – mit Tränen in den Augen
Und atme
atme
atme
…
..
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