Eigentlich milder Verlauf oder: Vom Schmerz der Stille

 

Seit Mitte März war ich untergetaucht.

Spontan und überraschend.

Ich hatte mich bewusst und dankbar als Ungeimpfte Corona zugewandt.

Freiwillig.

Als ich Adriaan den Raum gab, seine eigene Corona-Erkrankung für 10 Tage bei mir, in meinem Frauenreich zu erleben, nutzte ich den dadurch entstehenden, natürlichen Kontakt mit dem Virus. (Das ich mich einmal so klar bewusst für das Kranksein entscheiden würde, hätte ich vor 2 Jahren noch nicht glauben können. Aber nun ja, wir leben in besonderen Zeiten.) 

Ja.

Mein ganz eigen gewählter Weg.

Der Beginn einer Reise, von der ich nicht wusste.

Trotz klar bewusster Entscheidung.

Denn nach einigem Bemühen um Krankheitszeichen zeigte sich etwas, womit ich überhaupt nicht, so überhaupt gar nicht rechnete.

 

Die Einsamkeit der Stille.

Finster und dunkel.

 

Eine Reise durch die Dunkelheit.

Mit der Landung im Abgetrenntsein.

In der Gefühl- und Spürlosigkeit.

In der Taubheit.

Nichts hören. Nichts riechen. Nichts schmecken.

Nichts fühlen.

Das Leben nicht mehr fühlen. Mein Herz stumm.

All die Schönheit in mir und um mich herum verschwunden. Herausgefallen aus der Liebe. 

Alle Themen der letzten Wochen und Monate zusätzlich dick und fett auf dem Gedanken-Tablett serviert.

 

Beschämung paart sich mit Betäubtheit.

 

Sitzend unter einer finsteren, durchsichtigen Glocke und die Menschen weit weg.

Keinen Bezug mehr zu nix.

 

Gleichgültigkeit verbindet sich mit Düsternis.

 

Mir war ja schon immer klar, dass ich sehr, sehr mit mir und dem Leben verbunden bin.

Aber nun zu merken WIE sehr und WIE betäubt es sich anfühlt, wenn dies nicht der Fall ist, ist erschreckend.

 

Fragmentierte Brüchigkeit.

Einsamkeit pur.

 

Nichts in mir schwingt, vibriert, lebt, prickelt.

Nichts.

 

Kälte.

 

Meine Hand schreibt etwas am PC und ich spüre weder meine Hand noch einen Bezug zu dem was ich schreibe. Ich spüre weder meine Füße am Boden noch bin ich mit dem verbunden, was ich tue. 

Es ist nicht erfüllt von Leben, nicht durchdrungen von Bewusstheit, egal was ich tue – es ist bedeutungslos.
Genannt: Dissoziation.
Abspaltung. 

Unverbunden im Nichts.

Verlorenheit und der dumpfe Schmerz der Einsamkeit.

 

Schlafen.

 

 

Schlafen.

Schlafen.

Schlafen.

 

Den Tag vorüberziehen lassen.

Mich selbst haltend, im Schlaf Geborgenheit finden.

Ausruhen.

Von mir.

Vom Nicht-Leben.  

 

Nach 3 Wochen muss ich kochen.

Für die Jahresgruppe.

15 Menschen.

Und bin in keinem Bezug zu irgendwas.

Ich quäle mich in die Küche.

Noch nie kochte ich so lieblos und unverbunden.

Ich spüre weder das Obst und Gemüse in meiner Hand beim Schneiden, noch sehe oder rieche ich es. Ich sehe nicht die bunten Farben, fühle keine Konsistenzen, spüre keine Unterschiede, keine Feinheiten. Alle Zutaten, so laut sie auch rufen, bleiben stumm, finden keine Resonanz in mir. 

Ich spüre mich nicht, wenn ich am Herd stehe und den Kochlöffel rühre. 

Ich spüre die Frauen und Männer nicht, für die ich koche. 

Trotzdem schmeckt es, lädt ein zum genießen, so die Stimmen der Menschen.

 

Kann das denn sein?

Routine? Erfahrung? Können?

Oder ist das genau dieses automatisierte Funktionieren, aus dem heraus so viele Menschen leben und aus dem heraus trotzdem mal mehr, mal weniger gute Dinge entstehen?

 

Ich bin müde. So so müde.  

 

Und schlafe und schlafe und schlafe.

Und:

 

Meditiere. 

Ein gebuchter Platz in unserem 10-tägigen Retreat wird ganz kurzfristig zurück gegeben. Ein Mann ist ein Corona erkrankt. Der Platz bleibt frei. Und so schmuggele ich mich als Teilnehmerin ins Retreat – mit einer Stunde Büroarbeit am Abend. Das Leben muss ja weiter gehen. 

10 Tage, um wieder in mir anzukommen. 

10 Tage umsorgt. Endlich nicht mehr allein. Umgeben von Menschen. Jeder auf seinem Weg und doch gemeinsam. 

Atem spüren. Körper spüren. Langsam auch die Stimmungen. Die Gedanken.

Abstand gewinnen. 

Jeden Tag. Mehr. 

Stundenlang.
Immer wieder.

Bewege mich.

Yoga. Erdberührungen.
Ganz langsam.

Und komme nach und nach wieder in Verbindung.

Mit mir.

Ganz behutsam lande ich wieder.

In mir.

 

Und ich stelle mich.

Mir selbst.

Meinen Ohren.

Meiner Nase.

Ich weiß, dass seit Corona etwas spürbar gewordenes in ihnen sitzt. Rumort. Mich betäubt. Mich trennt.  

Und finde den Mut, es zu erforschen.

An einem Morgen.

Ein zeitiger Frühlingsmorgen.

Jetzt.

Nur noch jetzt.

 

Für mich.

Für meine Ohren und für meine Nase.

Für uns.

 

Was habt ihr nur ausgehalten mit mir? Alle drei seid ihr zart, wohlgeformt, weich und sehr sensibel. Ihr Ohren hört besonders gut. Und dass, obwohl du, mein rechtes Ohr schwerhörig bist. Seit unserer Kindheit wollen die Knöchelchen nicht schwingen. Viel zu früh verkalkt. So hörst du zwar, dass jemand was sagt, aber nicht so gut was sie sagt. Und trotzdem hört ihr Beiden das Ungesagte. Das Dazwischen. Das Unaussprechbare. Ja ihr hört gut.  Sehr, sehr gut. Und ihr liebt Sprache. Worte. Gedichte. Klang mit Raum und Weite drumherum und Perlen. Cremeweiß und Rot.   

Schon gestern Abend spürte ich euch beide und dich Nase auch. Lag im Bett und spürte. Fühlte. Spürte die Bewegtheit in mir, dass Hineinsinken in euch drei. Ich wusste, es würde ein tiefes Eintauchen werden für das ich mich öffnen wollte und das mehr Zeit brauchen würde als ein paar Minuten des Fühlens, denn nur ganz zaghaft begannt ihr euch endlich wieder zu zeigen. Mit Corona seid ihr weg gegangen. Nase zu. Ohren zu. Wie betäubt. Abgeschnitten. Alles Lebendige ausgeschaltet. Ich höre nicht mehr. Rieche nicht mehr. Schmecke nicht mehr. Fühle nicht mehr.  

Mein HERZ hört nicht mehr. Riecht nicht mehr. Schmeckt nicht mehr. Fühlt nicht mehr.  

Dumpfe Einsamkeit. 

Gepaart mit Erinnerungen an uns als kleines Mädchen. Immer wieder Arztbesuche. Immer wieder Krankenhaus. In den letzten Tagen hier in der Stille der wagtet ihr euch langsam wieder hervor.  

Gestern Abend gab ich zwei Tröpfchen Amber an die Füße, ein Tröpfchen Moschus auf den Unterbauch. Erdung. Denn ich ahnte – wusste, dass es nun endlich kommen würde.  

 

Heute Morgen:  

Ich liege mit euch im Bett.  

Erinnerungen. 

Ich mit euch auf dem OP-Tisch. Ich weiß nicht wie alt ich bin. 8, 9, 10 vielleicht. Ihr solltet operiert werden, damit ich endlich besser hören kann. 

Ich liege, mein Kopf wird gedreht. Es soll losgehen. Jetzt kommt gleich die Narkose denke ich.  

Und dann erinnere mich nur noch an den unfassbaren Schmerz.  

Will mich winden, drehe mich hin und her. Und kann doch nicht weg. Werde festgehalten. Die Tränen laufen.  Und ich halte aus. Halte aus. Halte aus. Halte aus. 

Ich halte aus.  

Aushalten.

Aus.  

Vorbei. 

Und ich bin ganz still.

Lange.   

 

Noch eine OP. Wieder die Ohren. Dieses Mal mit Vollnarkose. Was für eine Erleichterung. 

Als ich aufwache, ist mein Gesicht verschwollen. Die ganze linke Gesichtshälfte rund um den Nasenflügel dick angefüllt. Die Nase schmerzt. Aber es sollten doch die Ohren operiert werden und nicht die Nase? Ein paar Tage später sitze ich im Behandlungszimmer, der Arzt mir gegenüber und sagt, wir haben dir die Nasenmuscheln entfernt, damit deine Ohren besser belüftet werden und du wieder besser hören kannst und ich werde dir jetzt den Verband entfernen. Nimmt eine Pinzette, steckt sie in meine Nase, und zieht und zieht und zieht. Er zieht eine gefühlt 10 m lange Binde aus meiner Nase. 

Ich werde ohnmächtig. 

Und danach ganz still. 

Lange.   

 

Heute Morgen liege ich also mit euch und den Erinnerungen im Bett und die Vögel beginnen zu singen. Endlich war ich am Abend wieder ein bisschen mehr mit mir verbunden, so dass ich das Fenster für die Nachtluft weit öffnete. Ein zaghaftes: Alles ist wie immer. 

Und so höre ich den Morgen. Den ersten erwachenden Vogel, das langsame Einstimmen der vielen Anderen. Statt zur Meditation um 6 zu gehen, bleibe ich mit euch liegen. Und ich höre. Kann die Schönheit des Morgens und der Vogelklänge hören. Plötzlich ist alles wieder da. All die Schönheit ist plötzlich wieder da. Ein Gefühl von warmen Glück breitet sich aus. Lasse mich hineinsinken in die Klänge. Lasse mich hineinsinken in die Schönheit des Augenblicks. Sinke hinein in mich.

Ganz. 

 

Endlich.

 

Doch dann plötzlich kommt eine fast unaushaltbare Aufregung in meinen Oberbauch. Von jetzt auf gleich. Im Sonnengeflecht und dann überall. Die Beine liegen wie tot abgelegt, nicht in der Lage aufzuspringen.  

Und ich bleibe liegen.

Ich höre die Schönheit des Morgens. Höre die Vögel. Atme.

Eine Hand auf dem Bauch. Eine Hand auf dem Herz.

Und fühle.

Fühle. Fühle. Fühle.

Den Orkan der Ohnmacht. Des Ausgeliefertseins. Der Einsamkeit unter Menschen. 

 

Ich fühle. 

 

Die Ohnmacht. Das Ausgeliefertsein. Die Einsamkeit unter Menschen.

Ja. Ich fühle. 

Ich fühle.

Fühle.

Fühle.

Ich fühle.

 

Und die Vögel singen.  

  

Fast drei Stunden liege ich so. 

Durchfühle all die heftigen und dann langsam abebbenden Wellen. Spüre, wie es über die Beine aus mir strömt, wegströmt.  

All die Ohnmacht. Das Ausgeliefertsein. All die Einsamkeit.

Spüre das Vergehen.

Das Hinausziehen aus mir.

Ja.

 

Und dann ist es weg.

Wirklich weg.

Es ist vorbei.

Ja.

Vorbei.

Stille.

Glück.   

Stilles Glück.

 

Zu 9 gehe ich zum Frühstück. 

Und die Welt hat sich verändert. 

Ich bin 5 cm größer. 

Mein Nacken fühlt sich ganz frei an. 

Ich sehe. Ich höre.

Alles auf einmal.

Ich bin wieder berührbar. 

Spüre seit 4 Wochen nun zum ersten Mal wieder das Leben mit dem ganzen Herzen. 

Erstaunt. Erleichtert. 

Und ich atme endlich wieder ein. 

Atme ganz tief das Leben in mich ein. 

Wie den allerersten Atemzug nach einem viel zu langen Tauchgang.

Die finsteren Schleier die mich umfingen, sind weggezogen. 

Ich bin wieder da Leben.

Frisch geschlüpft aus deinen Tiefen

Sehr empfindsam. Sehr verletzlich. Sehr weich. Noch immer zerbrechlich. 

 

Unfassbar. 

 

 

Ich bin euch Ohren und Nase so dankbar. 

Was haben wir nur zusammen ausgehalten? 

So tapfer. So mutig. So fein riechend. Und trotz Schwerhörigkeit so zarthörend. Was bin ich euch dankbar.

 

In Demut verneige ich mich vor euch und in Demut verneige ich mich vor mir im schneidenden Schmerz der stillen Einsamkeit. 

 

Wir sind zutiefst verbunden.