Nachklingen 1*7

 

 

 

Ja. 

Ich bin mit meinen fast 48 Jahren noch immer eine Enkeltochter. 

Was für ein Geschenk. 

 

 

 

 

 

Meine Großmutter zweitväterlicherseits ist inzwischen 91 Jahre. Ich war zweieinhalb als wir uns kennenlernten. Und ich bin neben den drei Jungs ihrer Tochter und meines Vaters ihre einzige Enkeltochter. Ein überraschendes Geschenk. 

Eine meiner ganz frühen Erinnerungen ist die, dass ich mit ihr im Haus ihrer Mutter, meiner Urgroßmutter nah bei Meissen, Dresden in der warm geheizten Küche stehe, vor dem klitzekleinen Waschbecken und sie mich wäscht. Und dass der Lappen, mit dem sie mich abreibt, so herrlich duftet. Dort in der warmen holzbeheizten Küche meiner Urgroßmutter, dort wo noch in emaille-Schüsseln  abgewaschen wurde.  Diese Erinnerung ist mir sehr kostbar. 

So wie meine früheste Erinnerung die ist, dass ich, ängstlich ob des damals für ein Dorfleben ganz modern *inneliegendes* Plumsklo, auf den Armen ihres langsam zu meinem Vater werdenden Sohnes bin, und mich trotz Angst ganz sicher und geborgen fühle. 

Ja. 

Mein Vater & meine Großmutter. 

Und dass ich sie noch habe, noch immer, verdanke ich meiner Tante, bei der sie seit 16 Monaten lebt. 

Was keiner im Dezember 2021 zu hoffen wagte, ist eingetreten, sie hat sich noch einmal zurück ins Leben erhoben und lebt nun im Bett. Zeitung lesend. Schlafend. Essend. Fernsehen schauend. Besuch empfangend. Mitten drin. Direkt neben der großen Küche. 

Dankbar, anders als früher sehr zart nun und meist glücklich strahlend. Tief zufrieden. 

Ich sage immer zu ihr: „Oma ich sag’s dir, du wirst noch 100. Du hast ein starkes Herz und bist ein zähes Luder.“

Dann lacht sie wie ein junges Mädchen. 

So schön. 

Um sie herum ist ganz viel Weite. 

Und wenn ich mit ihr bin, spüre ich den Himmel mit all seinen Segnungen die er denen gibt, die trotz aller Schwächen in die reine Dankbarkeit finden. Dankbarkeit für das Leben und die heute nicht mehr selbstverständliche alltägliche Fürsorge der Kinder. Meiner Tante & ihres Mannes, und meines Vaters. Ja, meines Vaters.

Aber warum schreibe ich das alles hier? 

Ich schreibe das, weil ich bei einem meiner letzten Besuche meiner Tante sagte, wie dankbar ich dafür bin, dass Oma noch lebt. Und das, obwohl es einen ganz anderen Anschein hatte, als sie damals im Dezember 2021 aus dem Krankenhaus entlassen wurde. 

Meine Tante fragte überrascht ob es denn nicht eher schwer sei für mich, das zu sehen. Mich überraschte die Frage ebenso wie sie meine Dankbarkeit, und ich spürte trotz sofort klarer Antwort noch einmal tief in mich hinein. 

Und nein. 

Es gibt keinen Moment von Schwere in mir. Nur Freude darüber, an meiner Großmutter sehen zu dürfen, dass die sich verschenkende Liebe an einen sehr kranken und schon sehr alten Menschen, dessen letzte Tage ganz eng bemessen scheinen, dass diese Liebe manchmal wirklich Berge versetzen kann und Wunder bewirkt. 

Und das Oma Rosi vielleicht auch hätte noch leben können, im Bett mit allem was sie so gerne tat. 

Und nein, es macht mich nicht traurig. 

Nicht neidisch oder giftig oder bitter. 

Es macht mich froh. 

Froh für Oma Lieselotte. 

Froh für uns alle über die Zeit, die uns überraschend noch einmal zusammen gewährt wurde. Nun in dem klaren Wissen, dass wirklich jeder Tag, jeder einzelne nicht selbstverständlich ist. 

Dafür danke ich dir sehr Tante Gudrun.

Hier vor allen. 

Auch damit es gesehen wird. 

Dein Dienen. 

Und dir danke ich Vati, dass du all das mitträgst. 

 

 

 

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