Offen wie eine Blüte im Sonnenschein oder Von tausend Dingen ins Hier und Jetzt

 

Freitagmorgen. Gleich 9 Uhr. Aurelius kommt im Schlafanzug in die Küche gelaufen. Lacht fröhlich, plappert los. „Didi gibt es Brei mit Datteln?“ Ja. Hirsebrei mit Datteln zum Frühstück. Dann ins Bad, Sachen packen, das Arbeitszimmer gemeinsam aufräumen. Mittendrin fünf Runden Karten spielen. Danach weiter Ordnung machen und den Kinderspielplatz der letzten Tage zurückwandeln in ein großes Arbeitszimmer für zwei Menschen. Für Aurelius geht es nach 5 Tagen bei Papa und „Didi“ – so mein mir von ihm als sehr kleines Kind gegebener Name, die 180 km zurück zu Mama. Dann die Kisten und vollen Beutel mit Utensilien für die an diesem Freitag beginnende Jahresgruppe vor die Tür stellen und stapeln, den großen Wasserkocher, Yogamaterialien einpacken, meine persönlichen Sachen. Listen, Cds, Fotodrucker. Ein Berg an Dingen. 3. Etage Altbau. Hoch und runter. Frühsport heute mal nach dem Frühstück. Zu dritt. Aurelius trägt in seinen etwas zu großen Matschstiefeln seinen mindestens ebenso zu großen Beutel mutig allein die Treppen hinunter. Zu schwer. Knallend schleift er ihn die Stufen abwärts, er ist unentschlossen ob er sich helfen lassen möchte. Heinz, 78, seit 50 Jahren im Haus lebend, steckt fragend seinen Kopf zur Wohnungstür heraus.

Vom Müllplatz kommend höre ich enttäuschte Kindertränen auf der 1. Etage. „Didi, die Apfelsaftflasche ist kaputt gegangen.“ Oje, an die hatten wir alle drei nicht mehr gedacht. Etwas bedeppert schauen wir zusammen in den Beutel. Mit Kinderkleidung gepolsterte Schlittschuhe und selbstgeernteter grüner Glasflaschenapfelsaft gemeinsam über viele Treppenstufen gezogen, vertragen sich nicht. Die Kleidung durchnässt von Apfelduft. Die Treppe mit Pfützen und Tropfen übersät. Noch immer fließen enttäuschte Kindertränen über die kaputte Flasche. Eine Idee: gemeinsam rufen wir Anja, die Apfelbaummutter an und bitten um eine neue Flasche, wieder eine mit dem Jupiterzeichen darauf – das Logo von Anjas traditioneller Staudengärtnerei – Jupiter, Aurelius zweiter Namen. Die Tränen versiegen. Jetzt also zusammen vorsichtig die Scherben einsammeln, die Socken und Wäsche auswringen, die Treppe trocknen. Atmen. Adriaan und Aurelius springen ins Auto, die Türen knallen zu, ein letztes Winken, sie gleiten davon. 360 km und eine Stunde trennen Adriaan von der 2. Wuppertaler Jahresgruppe, die am frühen Abend beginnen wird.

Ich werfe die leeren Einkaufsbeutel ins Auto, steige ein. Drei – vier Minuten sitze ich still in der Kälte, schließe die Augen, die Schultern sinken, ich lasse los. Atmend fühle ich das helle Rauschen in mir, das langsam zur Ruhe kommt. Erst als Adriaan und Aurelius und die Apfelsaftflasche samt der apfelgetränkten Kleidung auf dem Weg zu Mama aus mir verschwunden sind, starte ich das Auto. Ab geht’s. Erst einkaufen bei DM, dann weiter zu DENNs, danach zu Aldi. Kürbissuppe mit Möhren & Croutons, gedampftes Gemüse mit Rosmarinofenkartoffeln & Kressequark, PenneRucola mit marinierten Kirschtomaten, Pistazienpesto & Pinienkernen, Hirsebrei am Morgen, nach dem Mittagessen eine süße Leckerei für jeden. Den RoteBeeteSalat mit Linsen & Granatapfel und die Schwarzwurzel-Süßkartoffelsuppe mit Kräuterpesto bereitet zum ersten Mal ein sehr gutes Wuppertaler Tagesrestaurant für uns. Drei Stunden bin ich unterwegs im Einkaufsmarathon. Wir erwarten 15 Gäste zu unserem ersten Jahresgruppenwochenende. Sechs gemeinsame Mahlzeiten am großen Küchentisch. Kochen ist Liebe. Gemeinsam Essen auch.

Die Sonne scheint, ich lasse mir Zeit, laufe durch die Regalreihen, entdecke neues zwischen dem Altbekannten. Jedes Mal beim Einkaufen für Retreats oder Seminare wandert ein Ding in den Korb, dass ich noch nicht kenne und kennenlernen möchte, dieses Mal: keimfähige Braunhirse. Dann bei Denns nach dem Einkauf ein Tee´chen mit nem knusprigen *Schweine*ohr. Wunderbar! Und weiter.

Es ist halb zwei als ich wieder auf unserem Engelnberg bin. In einer Stunde wird Adriaan zurück sein, dann geht es aufs Land ins Windrather BiohöfeTal nach Hof Fahrenscheidt. Noch Quark und Milch kaufen, die Autos ausräumen, das alte Fachwerkhaus mit seiner großen gemütlichen Küche und dem hellen Saal mit den vielen Fenstern zu unserem Haus machen, alle Dinge ihren Platz finden lassen – für das erste gemeinsame Wochenende von insgesamt sechs bis November.

Ab 17 Uhr werden die Menschen ankommen. Zwei Stunden zuvor wir.

Halb zwei. Ich habe eine Stunde bevor es weitergeht. Die Sonne scheint am kalten Winterhimmel. Der Schreibtisch zieht mich mit all den Arbeiten die längere Zeit schon immer wieder liegen bleiben. Schreibtischarbeit? Jetzt? Nein. Jetzt nicht.

Hunger. In dieser einen Stunde etwas nur für mich zubereiten? Nein, auch das jetzt nicht. Viel besser: Ich lasse mich bekochen! Bei uns auf dem Berg hat eine große schöne alte Fabrik, die Schnürsenkelfabrik Hupertsberg – umgebaut zu luftigen Ateliers mit weitem Blick über Wuppertal, ihr Zuhause. Daneben wohnt ein kleines Backsteingebäude, die ehemalige Schlosserei. Darin: eine offene Küche geführt  von einem sehr guten Caterer, die Hälfte der Menschen die dort arbeiten, Menschen mit Beeinträchtigungen beim Ausloten ihrer Fähigkeiten – ein soziales Projekt. Jeden Tag gibt es zwei Gerichte und eine Tagessuppe. Der klare Raum mit seinen sechs Tischen und der wechselnden Kunst an den Wänden ist heute wieder gut besucht: sechs Geschäftsmänner die kaffeetrinkend eine Arbeitsberatung haben, eine einzelne Frau, ein Vater mit seinem Sohn, eine Gruppe Menschen am Stehtisch. Es duftet nach gebratenem Gemüse, vermischt mit dem Duft von frischem Kaffee.

Ja, etwas essen.

Meine Entscheidung: Kartoffel-Möhren-Rahmsuppe für 3,50€.

Ich setze mich an einen der leeren Tische mit Blick auf das hochgelegene große Fenster. Die Sonne spiegelt sich in einem der Fenster der alten Fabrik und scheint mir mitten ins Gesicht. Ich schließe die Augen. Genieße. Atme. Lasse los. Die Schultern sinken, die Spannung vom Einkaufen an vielen Orten mit ihren vielen Menschen löst sich, wieder kommt das helle Rauschen in mir zur Ruhe.

Ich spüre Schritte auf mich zukommen, öffne die Augen. Vor mir steht grinsend ein junger Mann mit blauem Basecap und weißer Kleidung und hält mir sehr konzentriert den großen tiefen weißen Teller mit meiner Suppe entgegen. Wir schauen uns kurz nun beide grinsend in die Augen und ebenso konzentriert nehme ich den Teller in meine Hände, stelle ihn ab.

Vor mir steht keine Suppe, sondern ein hellweißrosacremiges Süppchen mit feinen Möhrenwürfelchen, zarten grünen Frühlingszwiebelstreifen und kleinen gelben schwimmenden Tröpfchen. Ich bin überrascht – ja, klar, auf der Tafel stand Rahmsuppe. Doch ein solch feines Süppchen mit Sahne hatte ich nicht erwartet. Und natürlich wird in einer vegetarisch geführten Küche eine Rahmsuppe mit Schlagsahne gekocht. Etwas, was ich nur noch sehr selten mache und was bis vor einigen Jahren aber immer und zu jederzeit in meinem Kühlschrank zu finden war: Sahne. Ja. Echte Schlagsahne an Cremesuppen ist sehr, sehr lange her.

Ich schließe die Augen. Der warm-feuchte Duft steigt nach oben, erreicht meine Nase, hüllt mich ein. Ich nehme meinen Löffel, tauche ihn hinein in den Teller, führe ihn zum Mund und beginne zu essen … oh welch eine Wonne… Ich hatte vergessen wie lecker mit Sahne gekochte Suppen schmecken können…  Mit geschlossenen Augen sitze ich und esse andächtig löffelnd, glücklich mein heißes Rahmsüppchen.

Und dann, ja dann geschieht noch etwas Besonderes: Überraschend erklingt Musik! Noch nie habe ich Musik in der kleinen Schlosserei gehört!

Aber heute

Jetzt

Eine spanische Gitarre füllt den Raum, klingt, dringt tief in mich ein, weitet sich in mir aus, jeder Ton mit seiner Leichtigkeit und Freude, seiner Offenheit und Weite, seiner Kraft und lebendigen Innigkeit

Und dann ist sie auf einmal da, die gestillte Vollkommenheit des Lebens inmitten des Lauten, inmitten der Bewegung um mich herum. Die Gestilltheit sinkt in mich hinein, eine Stille die so durchdrungen ist von Leben, von Leben in diesem Moment. Die warme cremige Feuchtigkeit rinnt meine Kehle hinunter in meinen Bauch und alles in mir ist offen wie eine Blüte im Sonnenlicht. Die Sonne scheint wärmend in mein Gesicht, im großen Fenster sehe ich die Schönheit des leuchtend blauen Winterhimmels mit seinen Wolken, die langsam Richtung Osten ziehen. Ich sehe die Schönheit eines Flugzeuges, das seinen Schweif hinterlässt. Ich sehe die Schönheit der zwei einander zugeneigten leicht angetrockneten roten Rosen die auf dem Fenstersims stehen, die Schönheit des Glases mit dem grün verschmiertem Kerzenwachs daneben. Ich höre die Schönheit des Klangs der Menschen, die laut um mich herum reden, die Schönheit des klingelnden Telefons, des klappernden Geschirrs, des metallisch klingenden Bestecks, das sauber in den hölzernen Besteckkasten zurückgelegt wird. Ich spüre die Schönheit der unsichtbaren Düfte um mich herum und eine innige Dankbarkeit steigt in mir auf.

Leben pur

Gefühlte Stunden sitze ich so da mit Tränen in den Augen

Dann ist es Zeit zu gehen

Die mir zum Teil noch unbekannte nächste BuddhayogaGroßfamilie auf Zeit kann kommen, die neue Jahresgruppe Wuppertal kann beginnen

Ich bin da