09. März

 

15:00

 

Na meine kleine Große, 

Wartest du schon? 

Als ich 2014 & 2015 die Reiseberichte unserer jeweils 9-wöchigen Sri-Lanka-Reise schrieb, antwortest du mir manchmal per Mail, schon in Vorfreude auf das was noch kommen mochte. 

Diese Mails sind so kostbar für mich, genauso wie die Briefe die wir uns schrieben. Mit meinen Fingern streiche ich über Deine schöne Schrift, gleichmäßig wie die vielen Maschen, die du in deinem Leben stricktest. 

Wir hatten dir ein Tablet besorgt und mit deinen 80 Jahren gingst du mit Vorsicht, Verspieltheit und Neugierde auch dank Siegbert, der dir technisch half, an dieses ungewohnte Teilchen. Es machte möglich, dass du durch meine Augen hindurch mitreisen konntest. (Und Strickanleitungen googeln, Reportagen sehen, nachts deine Wahlmusik hören, Bestellungen aufgeben, Skypen und noch viel mehr.) 

Es brachte dir die Welt nach Hause. Und das war ein Segen für dich, denn die Wohnung zu verlassen, wurde immer schwieriger. Schwere Nebenwirkungen einer Strahlentherapie fesselten dich öfter über Wochen an die Wohnung. 

Und nicht nur du reistest mit, sondern mit dir deine fünf alten Herrschaften aus dem Betreuten Wohnen. Zwei Paare, ein Mann. Alle zum Teil weit über 80. Ihr traft euch wechselnd bei einem von euch zum Tee und Karten spielen und Teil dieser Runde wurden die Reiseberichte und Bilder auf dem Tablet aus Sri Lanka. 

So viele Jahre ist das nun schon her. 

Und nun schreibe ich wieder. 

Und wieder reisen zusätzlich Menschen mit uns. Es sind in vier Gruppen weit über 80 vertraute Menschen, die hier lesen und wenn ich darüber nachdenke wird mir manchmal ganz schwummrig. 

Denk einfach nicht drüber nach, würdest du jetzt zu mir sagen. 

Du hast ja recht. 

 

 

Die Nacht war herrlich im traditionellen tibetischen kleinen Gasthaus, genannt Hotel. 

Schön kalt. 

-3 Grad

Im Zimmerchen etwas mehr. 

Was genoss ich es, unter die dicke, nach Räucherstäbchen duftende Bettdecke in das harte Bett unter dem Fenster zu schlüpfen. Erst mit warmer Wäsche, die ich dann irgendwann auszog. Nur die Nase schaute vor. Kalt. Die Atemluft nebelig. 

So schön. 

Ich habe meine beiden Babywärmflaschen dabei. Was bin ich froh, um die Freude einer Wärmflasche gerade auf Reisen zu wissen und mich nicht zu scheuen, so etwas in den Rucksack zu packen. 

Ja, und noch immer finde ich schwer Worte über mein hier nun sein. 

Es ist eine Form des Verstummens, dass immer wieder unterbrochen wird durch die Gespräche und das zusammen sein mit den anderen. 

 

Ein Verstummen aus Ehrfurcht, Dankbarkeit & Liebe. 

 

Und besonders stark spüre ich es wenn ich hier laufe. Sitze. Stehe. 

Bin. 

 

Allein. 

 

Shangri-La

 

 

 

 

Kati bei ihrem ersten nicht von ihr selbst zubereiteten Tsampa – Brei von gerösteter Gerste mit Wasser & & Butter & Salz & Honig

 

U n d   d a n n : 

 

 

 

 

*

 

22:00

 

Ich bin gegangen. 

Allein. 

Am späten Nachmittag. 

Die anderen übten Yoga. 

Mich zog es hinaus in die weite Ebene. 

 

Es treibt starker Wind. Ich bin dick eingemummelt. Thermoleggins unter der Hose. Windjacke. Kapuze. Schal. Mütze. Zwei Paar Socken. 

Laufe glücklich in den Böen. 

Kein einziger Mensch begegnet mir. 

Niemand, wirklich niemand ist unterwegs. 

Menschenleere. 

Das Tal ist still, nur der Wind ist zu hören. 

 

Laufen. 

Die Schritte setzen auf nun 2800 Metern Höhe. 

Drei Nächte sind wir hier in Kagbeni. 

Ein kleiner Ort mitten in den Bergen. 

Mit 100 Mönchen, die leider leider leider gerade in Pokhara sind. Weit weg. 12 Stunden oder 17 Minuten entfernt. 

Wir sind hier wegen des Klosters und auch, um uns an die Höhe zu gewöhnen. Bis auf 3900 Meter werden wir hochsteigen in mehreren Etappen. Eine ziemliche Herausforderung für den die Höhe nicht gewöhnten Körper. 

Jetzt erstmal laufen auf 2800 Metern. Immer geradeaus in Kurven. Schritt für Schritt. 

Natürlich. Was sonst. 

Ich würde jetzt in diesem Moment gern mehr über den Ort schreiben, das Tal, die Mönche, doch ich bin noch nicht sonderlich nah an den vielen Gesprächen dran. Und trotzdem sind wir fünf harmonisch gemeinsam. 

Habe auch keinen Reiseführer dabei. 

Absichtlich. 

Ich will dieses Land atmen. 

Alles andere wird sich zeigen – meine in den letzten Jahren gewachsene, wichtige Lebensausrichtung neben: ich lass es wirken. 

Meist in Kombination mit Adriaans, in der Basis buddhistischen Leitsatz für alle Lebenslagen: Tun was ansteht – Zu- oder Abneigung hinter dir gelassen. Dieser Ausrichtung folgen inzwischen viele Menschen.

 

(Mmh, hätte ich doch mit den Anderen Yoga üben sollen;)? 

Nö!) 

 

Einer deiner wichtigen Sätze war: 

Man muss drüber reden. Und fragen. 

Und das war genau richtig so. Gerade auch weil du die letzten Jahre so wenig die Wohnung verlassen konntest. Das Leben kam mit den Menschen die dich so gern besuchten zu dir. Du konntest zuhören. Und du wolltest alles wissen.

Für diese Reise hier zeigt sich von Anbeginn auf natürliche Weise, dass ich keine Fragen stelle. Zu nichts und an niemanden. 

Es gibt einfach überraschender Weise keinen Impuls. Nicht aus Desinteresse, sondern fehlender innerer Notwendigkeit. Es fiel mir ziemlich schnell auf. 

Und so fällt mir nun auch auf, wie viele Fragen von Angst & Kontrolle, aus dem Bedürfnis nach Sicherheit gestellt werden. Für Dinge die in der Zukunft liegen und hier sowieso schnell ganz anders sein können. 

Und: es zeigt sich wirklich alles was ich wissen muss und will, im richtigen Moment. 

Das finde ich echt spannend. 

 

Ist das ein Ausdruck von Lebensfluss?

 

Aber nun gehe ich hier erstmal mutterseelenallein die Bergstraße entlang. 

Nur ich, der Wind, die vielen vielen Steine und die Berge. In der Ferne in der Ebene der Fluss. 

 

Ich laufe. 

Stemme mich gegen den Wind.

In mir eine solche Freude. 

Und mein Herz so, so spürbar. 

Überall. 

Es schlägt ruhig bis in meine Füße und in meine Augen hinein und weit darüber hinaus. 

Dieses sich Ausbreiten hat zuweilen fast etwas Schmerzhaftes. 

Ein schöner Schmerz. 

„Dein Schmerz ist das Aufbrechen der Schale, die dein Verstehen umschließt. So wie der Kern von Obst aufbrechen muss, damit sein Herz die Sonne sehen kann, musst auch du den Schmerz kennenlernen.“

So so viele Jahre schon begleiten mich die Worte von Khalil Gibran. Doch es ist ein anderer Schmerz als all die Jahre zuvor. 

 

Es ist, mmh, 

es ist … 

 

Ein erfüllender Schmerz ist es. 

 

Ja ! 

 

Irgendetwas arbeitet sich da durch zu mir oder aus mir heraus 

 

Wie und was genau wird sich wie immer zeigen … 

 

Laufen. 

Die Schritte setzen. 

 

Einen Zugang zur Ebene suchen. 

Steine rollen ob des starken Windes den Abhang hinunter. 

 

Ist deshalb niemand unterwegs? 

 

Da ist der Zugang. 

Abwärts Laufen. 

Die Schritte setzen. 

Ankommen im steinernen Flussbett. 

Laufen. 

Schritte setzen. 

Atmen. 

Den Wind spüren. 

Die Weite. 

Mein Herz 

Mich. 

 

Ganz 

Mit allem 

Und weit darüber hinaus 

 

 

*

 

 

 

 

 

weiter

zurück