Der Herbst beginnt mitten im Sommer oder: Eine lange Antwort auf eine kurze Frage

 

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Liebe Kati, 

Ich fühle mich so verletzlich im Herbst. … Macht mir Angst …

Ist das normal?

 

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Liebe XY, 

der Herbst bringt oft eine große Verletzlichkeit mit sich. 

Eine große Empfindsamkeit. 

Das ist normal. 

Der Herbst bringt uns den Abschied. 

Darum geht es.

Zeit des Abschieds. 

 

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Da du einschätzt, dass deine Verletzlichkeit sehr ausgeprägt zu sein scheint, solltest du dir vielleicht diese Frage stellen: 

 

  • Was macht dir Angst am Abschied?
  • Was hast du in deinem Leben schon für Abschiede und auch Verluste erlebt, die dich verängstigten, die dich vielleicht zutiefst erschütterten, die machten, dass deine Angst vor Veränderungen sich auf stark spürbare Weise ausprägte? 

 

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Wenn du meditierst, wirst du für all diese äußeren und sich auch im inneren spiegelnden Prozesse der Natur immer empfindsamer, weil du wesentlich präsenter bist, weil du dank dieser Präsenz über diese Prozesse nicht mehr hinweg gehen kannst, weil du sie einfach in dir viel klarer wahrnimmst. 

Manchmal sogar so überklar, dass es zu viel sein kann.  

Du bekommst einen viel klareren Kontakt zu deinen Körperempfindungen.

Du bekommst einen viel klareren Kontakt zu deinen daraus interpretierten Gefühlen.

Du bekommst einen viel klareren Kontakt zu deinen  Gedanken.

Du wirst mit dem regelmässigen Meditieren empfindsamer und empfänglicher.

Und das kann ängstigen. 

Mit der Zeit, über die Jahre baut sich aus dieser zunächst überraschenden und ungewohnten und beängstigenden Empfindsamkeit eine Stabilität auf, die dich freier werden lässt.

Freier werden lässt von der Angst vor Veränderungen.

Freier werden lässt von Angst. 

Du nimmst dann eine Verletzlichkeit, eine Empfindsamkeit des Herzens wahr, doch sie löst keine Fragen, kein Leiden und zweifelnden Ängste mehr aus.

 

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Du übst sehr viel Yoga, du meditierst seit einiger Zeit und auch diese intensive Verbindung macht, dass du das Leben viel sensibler und damit intensiver, inniger wahrnimmst. 

Mit der sensibleren Wahrnehmung von spürbaren körperlichen Empfindungen wie kribbeln, strahlen, fibbeln, fliessen, rauschen usw. könnte man auch von an nicht fleischgebundenen Empfindungen, sprich Energieströmungen sprechen. Diese Energieströmungen kommen als Empfindungen deutlicher ins Bewusstsein. Mit ihnen kommen auch Empfindungen ins Bewusstsein, die man lieber nicht wahrnehmen möchte, denen man gerne ausweicht, Hitze, drücken, stechen, ziehen, brennen, aufwallen, absteigen, verengen, zusammenziehen, öffnen usw. 

Diese nun deutlich bewussteren Empfindungen interpretieren wir dann als Gefühl und sagen z. B. Ich bin sehr verletzlich. Macht mir Angst. 

Deshalb sage ich manchmal, dass das Üben der Vipassana-Meditation nur etwas für Mutige ist. Es ist nichts für Feiglinge. 

Ich sage deshalb manchmal auch, dass es phasenweise so anstrengend sei zu meditieren, weil ich nicht mehr ausweichen kann (und auch nicht möchte;). Die Empfindungen und damit verbundenen Gefühle und meine einordnenden bewertenden Gedanken werden so klar spürbar, sichtbar.  

Sie sind da.

Und das ist nicht immer schön. 

 

Was du jedoch lernen kannst ist zu sehen, wann du vorhandene Empfindungen z. B. verstärkst, vergrößerst.

Du verstärkst, vergrößerst Empfundenes durch die meist sofortige Einordnung von angenehm vs. unangenehm, und der daraus resultierenden  Zu- oder Abneigung gegenüber dem was du spürst, weil du es nicht haben willst: oh das tut so weh. Das will ich nicht. Oder: was ist das jetzt schon wieder. Das will ich nicht, es macht mir Angst. 

Auch der Gedanke „Macht mir Angst“ ist, mit der Lupe betrachtet,  wieder körperlich spürbar. In gesteigerter  Form geht uns Angst an die Nieren. Manchmal macht Angst uns Kummer. Oder berührt alten Kummer. Und der Herbst bringt uns manchmal die Verbindung hin zu altem Kummer. 

Du kannst im Herbst z. B. Herzschmerzen bekommen. 

Das ist jedoch in der Regel kein Schmerz im organischen Herz sondern es ist ein energetischer Schmerz. Jedes Organ im Körper hat eine Energieebene. Wenn du mit deinem Herzschmerz oder Unruhe oder Angst des Herzens im Herbst zum Arzt gehen würdest, würde er dich untersuchen, ein EKG machen und sehr wahrscheinlich nichts finden. Er würde zu dir sagen, dass du nichts hast. 

So wie es ein Blutsystem und Nervensystem, das muskuäre System usw. gibt, gibt es auch ein Energiesystem im Körper. 

Nicht sichtbar. 

Nicht nachweisbar. 

Und doch wirkmächtig. 

Das energetische System reagiert auf Veränderungen als erstes. 

 

Die Empfindungen und Gefühle von Abschied und Wandel und Rückzug im Herbst gehören zum Leben dazu.

Und sie zeigen sich auch in einem Schmerz des Herzens. 

Sie zeigen sich in einem mehr an Verletzlichkeit.

In einem Mehr an Empfindsamkeit.  

Das ist das Leben. 

 

Und wir wollen Wandel nicht.

Wir wollen Veränderungen nicht.

Viele Menschen spüren Angst vor dem Wandel

Viele Menschen spüren Angst vor Veränderungen. 

 

Ich hatte das früher auch. 

Sehr intensiv sogar. 

Was mir half, war zu realisieren, zu beobachten, dass der Herbst nicht erst jetzt beginnt, sondern schon sehr früh.

Veränderungen, die meisten Veränderungen geschehen schleichend.

 

Die Frage ist: 

Bist du empfänglich für die Zeichen der Veränderung?

Bist du empfänglich für die Zeichen des Wandels? 

 

Was mir hilft: 

Bewusstsein für das, was in mir geschieht.

Bewusstsein für das, was um mich herum geschieht. 

Ich nehme sehr wach die Veränderungen der Natur um mich herum wahr. 

Der Herbst, die Verwandlung des Sommers in den Herbst hinein beginnt in der Regel, so meine Beobachtung der letzten Jahre, Ende Juli. Da wird die Veränderung für mich meist erstmalig sicht- und spürbar. 

Der Wind, das Spiel des Windes in den Blättern, ihr Klang, die Düfte verändern ihren Ausdruck. Das ist alles zunächst ganz, ganz fein. 

Doch ab da weiß ich, der Herbst ist geboren, wächst still und unaufhaltsam und schiebt sich zunächst ganz langsam und zart in das Gefühl von Sommer hinein.  

Deshalb bin ich im September, wenn es sehr offensichtlich wird und gar der Gestressteste und damit nicht mehr sehr Wahrnehmungsoffene bemerkt, ah es wird Herbst, schon seit Wochen im Herbst unterwegs.

Im September ist mir völlig klar, dass wir mittendrin sind im Herbsten. 

Der dann eindeutig werdende Herbst öffnet in mir nun eher eine zarte Melancholie, die sich wie eine warme Umarmung in mir ausbreitet. Sie macht das Leben noch intensiver und lässt mein Herz fein ziehen wie ein kleines Vögelchen, dass leise tschippend auf sich aufmerksam macht. Mein Herz zieht nicht mehr aus tiefem alten Kummer oder Angst, sondern aus einem innigen Gefühl von Zärtlichkeit für das Leben, für mich, für alles vermischt mit einer Spur Traurigkeit. 

Man könnte es Melancholie nennen.  

Diese Melancholie formt eine enorme Dankbarkeit in mir für das was war und das was ist. 

Ich weiß, es ist die Zeit des Abschieds. 

Abschied vom Sommer.

Abschied vom Wind auf der nackten Haut. 

Abschied von den lauen Nächten. 

Abschied vom Übermut.

Und eine Hinwendung hinein, eine Verinnerlichung geschieht und mit ihr zeigt sich eine größere Ernsthaftigkeit.

Eine größere Tiefe. Ein Eintauchen. 

Ein zur Ruhe kommen nach der Fülle des Sommers. 

Ja. 

 

* * *

 

Und es bleibt für mich an dich die Frage: 

Was war der größte Schmerz für dich im Rahmen von Abschied, von Verlust, von Veränderung?

Vielleicht spürst du neben all den jahreszeitlichen Wandlungen auch genau diese Erfahrung jedes Jahr im Herbst neu. 

 

Oder vielleicht spürst du einfach jedes Jahr im Herbst neu 

das Vergehen von allem,

von

wirklich

a l l e m

was

ist

 

 

 


Gewidmet an A. und alle ziehenden Herzen