12. März

 

Durch die Berge nach Muktinath

 

 

7:30

 

Hitze.

Husten.

Die Lunge schmerzt. 

Der Kopf hämmert. 

Heiss kaltes Frösteln.  

Jede Körperhaarwurzel spürbar. 

Die Gesichtshaut brennt. 

Trotz Lichtschutzfaktor 50 für Babys 

 

Gute Morgen, meine große Kleine.

 

Ich liege noch im Bettchen.

Ganz warm. 

Um mich herum ist es eisig kalt. 

Zwei dicke dichte Decken machen das Ganze zu einer Herrlichkeit. 

Mein Magen ist noch immer empfindlich. 

Kein Spaß hier über der Kloschüssel zu hängen. 

Ich bin aufs Waschbecken ausgewichen. 

Zu viele Eindrücke zu verdauen. 

Also raus damit. 

Halleluja! 

 

Kagbeni – Muktinath 

9 Stunden unterwegs sein. 

1000 Höhenmeter zu erlaufen. 

 

 

 

Von 2900 auf 3900

16 Kilometer. 

Je höher man kommt desto langsamer werden die Schritte.

Das Körperchen macht gut mit. 

Der Geist auch. 

Die Empfindungen sehr eindringlich stark.

Stimmung meist gut. 

 

Nur beim Ankommen werde ich eng. 

Ich will aufs Zimmer. 

Wir sollen erst 15 Minuten Tee trinken. 

Das pack ich nicht mehr. 

Tränen kommen.  

Ishvar versteht. 

Wir steigen in die vierte Etage. 

Jede Treppenstufe ein Ringen. 

Ich sehe das Bett. 

Lass alles fallen. 

Ziehe die Obersachen aus. 

Werfe die Decke über mich. 

Und schlafe sofort ein. 

 

 

*

 

 

Die Essenz des Tages:

 

Am Berg stirbt jeder für sich allein.

 

Es geht immer nur um den nächsten Schritt. 

 

Cola kann die beste Art des Essens sein für das Körperchen. 

 

Kotzen befreit. 

 

 

 

*

 

 

 

Herzliche GutenMorgenGrüße aus Muktinath . Mustangtal . Nepal 

 

 

*

 

Reisbrei wie Zuhause … Da kommen die Tränen vor lauter Dankbarkeit und wie gut dass es Cola gibt, sagt die, die so gut wie nie Cola trinkt 

 

*

15:00

 

Hitze.
Husten.
Heiss kaltes Frösteln.
Jede Körperhaarwurzel spürbar.
Der viele Wind auch.
In mir.

Ich steige in die vierte Etage.
Jede Treppenstufe ein Ringen.
Ich sehe das Bett.
Lass alles fallen.
Ziehe die Obersachen aus.
Werfe die Decke über mich.
Und schlafe sofort ein.

*

Ich ruhe aus.
Für mich gibt es nix heute Nachmittag.
Verdauungszeit für all die intensiven Eindrücke der Vormittagsstunden.
Liegen.
Atmen.
Die Hände auf Herz und Magen.
Ruhen.

Oh wie ich es liebe.

Und wie dankbar ich bin, mir und anderen nichts mehr beweisen zu müssen.
Diese Zeit ist wirklich, wirklich vorbei.
Was für eine Befreiung.

Wir haben viel gesehen heute.
Viele, viele Eindrücke.
Viele heilige Orte für mich im gefühlt Schnelldurchlauf.
Mir reichen ein zwei Orte.
Und in die dann eintauchen und erleben.
Verlangsamen.
Ausbreiten.
Aufnehmen.
Dafür braucht es aber mehr Zeit.
Mehr Ankommen.
Mehr Dasein.

Als der Wind in meinem Körperchen und die Schwäche beim Atmen auf 4100 Metern immer stärker wurden, war klar, dass die nächste Buddhastatur nur die nächste Buddhastatur sein würde und dass es für mich heute reicht.
Und das ganz frei von Bedauern.
Herrlich.
Ich bat um Hilfe.
Und bekam sie.
Natürlich.
Unsere zweiter Mann, Tek, der uns seit Kagbeni begleitet, lief mit mir und Katrin zurück.

So einfach kann es sein.

Ich bin wohl krank.
Ausruhen.
Schlafen.
Verdauen.

Mit großer dankbarer Freude.

Hier in Muktinath.
DEM Pilgerort der Hinduisten und Buddhisten gleichermaßen.
Heilige Erde, heiliges Feuer und heiliges Wasser treffen sich hier.
Ich könnte jetzt mehr dazu schreiben.
Doch ich muss schlafen und lass die Bilder sprechen.

Jetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

17:00

 

Kalt ist es. 

Heiß ist es. 

 

Alles gleichzeitig. 

 

Nachts -6 Grad. 

Tagsüber 3. 

In der Sonne 40. 

Dazu der kalte, ständige Wind. 

An. aus. An. aus. An. aus. An. aus 

An. 

Vier Lagen trage ich.  Das, was mir an Körperfett fehlt, trage ich als Wolllagen um mich herum. 

Ich war nicht bereit, mich im Outdoorladen teuer für Überleben am Berg auszurüsten. Ich wollt mit dem reisen was schon da ist. Der Rest würde sich schon finden. 

 

Vier Lagen: 

 

Merino-Wolle-Seide Wäsche auf der Haut. 

Langes, über den Po reichendes Merino-Unterhemd 

Kaschmir-Pullover 

Alpaka-Strickpullover 

Darüber meine Yak-Woll-Jacke. 

Eine wolle-seide Leggins. 

Eine Thermoleggins.

Eine Leinenhose. 

Und darüber meine zum Glück viel zu weite, einzige Jeans, die ich besitze. 

Kniestrümpfe mit Stützfunktion & Alpaka Socken. 

Sobald ich hier laufe sind meine oft kalten Füße endlich warm. 

Also reichen da zwei Lagen. 

 

Herrlich. 

 

Manchmal fühl ich mich wie ein schwer bewegliches Presswürstchen. Meistens überwiegt trotz Presswürstchengefühls die Dankbarkeit für all die wärmenden Wollarten. 

Und in Kagbeni sah ich zum ersten Mal Kaschmirziegen und Yaks. 

Endlich ein Lebensbezug zu dem, was mir schon so lange wärmend dient.

 

Dennoch hat es nichts genutzt: 

 

Unter solarangehauchtes eiskaltes Wasserhahnduschen mit dem Wasser aus dem Fluss geht man nackt 😉 

 

* 

 

Ich habe viele Kommentare bekommen zu den Kinderbildern von Kagbeni. 

 

Und den von Ellen, meiner ehemaligen Mentorin und einer meiner ganz nahen Frauen und auch in meinem zukünftigen Leben in Dresden, möchte ich gerne teilen. Sie hat die Fähigkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen: 

 

„Liebe Kati, die Bilder in der Schule muss ich kommentieren😎durch deine Augen, deine Beobachtungen mitzugehen und zu sehen, finde ich so schön!! Das berührt mich tief, die Kinder so zu erleben, fröhlich, neugierig, kindlich ganz normal: schupsend, tanzend, putzend, lachend, den Lehrer liebend und mit so wenigen Mitteln ausgestattet, Freude an Schule und am Lernen haben!! Gerade auch vor dem Hintergrund, dass wir am WE die Entscheidung, welche der weiterführenden Schulen unsere Enkelin in BWB nehmen soll/wird, mitdiskutiert haben!! Und ich die Flyer der Schulen sehe, wie die ausgestattet sind🙄! Es braucht so wenig Kinder zu begeistern!! 

Und du siehst so frei, schön, „liebevoll“ im wahrsten Sinne des Wortes aus!! Die Kleine im letzten Bild wird sich noch lange an dich erinnern 🙏😊 

Ich wandere weiter mit dir mit😊“

 

Mein Gedanke dazu: 

Wenn das innen zu leer ist, braucht es viel im außen. 

 

 

*

 

22:00

 

Heute Nacht brauche ich mehr direktes Umsorgungsgefühl. 

Also nehme ich schwuppdiwupps in der eisigen Zimmerkälte mein mitgebrachtes Bettlaken aus dem Rucksack. 

Mutsch‘s Bettlaken. 

Sie gab es mir mit. 

Und so liege ich und genieße den vertrauten Duft ihres jahrzehntelangen Waschmittels. 

In den letzten Wochen meines derzeitigen Übergangs-Lebens ohne festen Wohnsitz, ist sie neben vielen anderen Dingen auch der Ort, um meine Wäsche zu waschen. Also liege ich gehüllt im vertrauten Duft der letzten Wochen und bin so dankbar. 

 

Und: 

 

Ich erinnere mich. 

 

Du hattest mir irgendwann eine große, große Decke aus all deinen vielen Wollresten gehäckelt. Kunterbunt. 

Schwer lag sie dabei auf deinem Schoß. Wochenlang. 

Und sie duftete nach dir. 

 

Das Duften ist auch etwas was wir teilen. 

Du hattest eine so überaus empfindsame Nase und bis ganz zum Schluss, als dein Körper sich neben vielem anderen, auch dem sich bis in die Knochen ausbreitendem Dekubitus ergeben musste, war es dir wichtig, gut zu riechen. 

Ja. 

Deine duftende Decke rettete mir irgendwann gefühlt das Leben. Und mir steigen noch jetzt beim Erinnern die Tränen in die Augen. 

 

Wir sind im Retreat. 

April 2012. 

Alles läuft gut. 

So ein Retreat, so leicht und reibungslos und harmonisch es bei uns auch anmutet, ist kein Kinderspiel. Adriaan sagt immer, es ist eine OP am offenen Gehirn mit scharfem Skalpell ohne Blut. 

 

Es stimmt. 

 

Eine Frau mit uns nicht offenbarter schwerwiegender psychiatrischer Vorgeschichte, in der langjährigen und sehr fordernden Ausbildung zur Osteopathin, gleitet am vorletzten Tag in eine Psychose. 

 

Was für ein Ritt. 

 

Wir brachten sie nach Berlin. 

300 km hin. 

300 km zurück. 

In der Nacht. 

Dann weiter mit der Gruppe. 

Zuviel. 

Viel zu viel für mich. 

 

Ich hätte schlafen müssen. 

Ausruhen.

 

Hatte sie die ganze Zeit an meinem Körper. 

Atmete. 

Spürte. 

Alles war gut. 

Als wir ankamen in Berlin war sie wieder stabil in Fassung. Ihre eiskalten, sehr erfolgreichen Professoreneltern erwarteten sie. Ich sah alles und verstand. 

 

Damals lernte ich, wie offen ich bin und wie viel Energie wir von anderen Menschen aufnehmen und ich lernte genau zu schauen, wen ich wann in welchen Umständen an mein Körperchen lasse. 

 

Denn: 

 

Am Abend blicken mich fremde Augen im Spiegel an. 

Am Abend höre ich Stimmen. 

Am Abend fühle ich mich verfolgt. Beobachtet. Unfähig, mich zu bewegen. 

Aus meinem eigenen Sein gerissen. 

Besetzt. 

 

Pure Angst. 

Und zugleich weiß ich ganz klar, was hier geschieht. Zwei Wahrnehmungs-Spuren in mir. 

 

Adriaan kommt. 

Und sieht sofort was los ist. 

Ich soll mich hinlegen. 

 

Auch sofort. 

 

Und er beginnt, mich auszustreichen. 

Alles ganz, ganz gründlich wegzustreichen

Ganz, ganz langsam. 

Zentimeter für Zentimeter. 

Dann immer kraftvoller. 

Immer energischer. 

 

Wirklich jeden Zentimeter streicht er von mir ab und übergibt all das mich Besetzende dem weit geöffneten Balkonwind…

 

 

So viel Erleichterung. 

So viel Dankbarkeit. 

 

 

Und am Ende nimmt er deine Decke und breitete sie über mir/mich aus. 

 

Und sagt: 

 

 

 

Oma ist bei dir. 

Alles ist gut. 

 

 

Dieser Moment ist so tief in mich/mir eingegraben, jederzeit ist er da, wenn ich Fürsorge, Liebe & 100%ige Zuwendung brauche. 

Und nun, hier, ist es neben der Erinnerung ganz praktisch das Bettlaken von Mutsch, das für mich sorgt. 

 

Gut, dass wir pragmatisch-praktische Mütter haben. 

Gut, dass wir Großmütter haben. 

Und liebende Lebensweggefährten. 

 

 

*

 

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