Über Feinfühligkeit und Yogaüben

 

Vor einiger Zeit erreichte mich eine Frage, die ich hier gerne für alle Lesenden 
beantworten möchte. 
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Liebe Kati, 
ich bin sehr feinfühlig und übe jetzt seit einiger Zeit Yoga mit dir.
Es tut mir sehr gut und ich bemerke Veränderungen an und in mir. 
Zugleich ist es immer wieder auch fremd für mich und manchmal spüre ich sogar 
Abneigung und Wut. Und das obwohl es mir nach jeder Stunde richtig gut geht.

 

Kannst du dazu etwas sagen? 

 

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Liebe XY, 

 

Ich freue mich, dass du so dran bleibst.

 

Deine Irritationen kann ich gut verstehen.
Ich schreibe dir mal ein paar Gedanken über meine Erfahrungen im Üben von Iyengaryoga. 

 

Grundsätzlich kann dir sagen, dass dieser Ausdruck des Yogapraktizierens nicht jedermanns Sache ist.
Es braucht eine gewisse Willensanstrengung und eine Überwindung von Tamas – Trägheit.
Eine Überwindung von allen phlegmatischen Gegebenheiten, aus denen heraus man sich eher nicht kraftvoll bewegen möchte. 
Auch kommt man manchmal (eigentlich recht oft) in geistige und körperliche Grenzbereiche, in denen es schmerzhaft wird. 
Dann macht es geistig und körperlich echt aua und das möchte man am liebsten vermeiden.
Es soll doch bitte schön nicht schmerzhaft sein und auf jeden Fall immer Spaß machen 😉 und Wut beim Yoga, das geht ja gar nicht. 

 

Ich übe diese Art des Yoga seit 15 Jahren.

Nach meiner ersten IyengarYogaStunde war klar, dass ich bleibe. 

Ich wusste sofort glasklar, dass ich nun die Richtung gefunden hatte.
Nach meiner ersten Stunde war ich in großer Weite, ganz fein, als würde ich eine Stunde CranioSacralTherapie erleben und gleichzeitig war ich völlig geerdet und 
wach. Und das alles durch mich selbst. Durch mein eigenes Üben.
Das fand ich klasse!
Diese starke Selbstwirksamkeit.
Ich bewirke es selbst!

 

Zugleich habe ich mich lange an dieser Art des Yoga gerieben und tue es manchmal (recht oft eigentlich) immer noch.

 

Durch das Üben stellt sich bei mir ein eindeutiges Erleben von Erdung ein. 
Klarer Kontakt zum Boden. 
Aus dieser intensiven Erdung heraus geht es in die Aufrichtung und Weite.
Doch für diese Erdung muss ich Arbeit und Anstrengung aufbringen.
Für das Entstehen von Aufrichtung und Weite muss ich Widerstände im Körper schaffen.
Dafür braucht es Kraft, die sich mit der Zeit des Übens langsam entwickelt.

 

Das erlebte ich lange Zeit als widersprüchlich.
Ich erlebte, dass mich das Üben veränderte, aber scheute mich diese pragmatische Anstrengung dafür aufbringen zu müssen.
Zugleich strengte ich mich richtig doll an, was mich eng machte, verkrampft und viel zu verbissen.
Der Ehrgeiz ging mit mir durch: ich wollte es gut machen, wollte es richtig machen, ich gab alles.
Ich hatte nach jeder Stunde enormen Muskelkater.
Und wenn ich mal keinen hatte, dachte ich, dass ich nicht gut genug geübt habe.

 

In den vielen Jahren des Übens habe ich merken können (und deshalb bin ich dem Yoga durch alle Widerstände und Abneigungen und körperlich-geistigen Anstrengungen hindurch so treu geblieben), dass diese Art des Yogaübens meine mich lebenslang begleitende, ausgeprägte Feinfühligkeit in einen Bereich bringt, der „gesund“ ist. 
Ich verliere mich nicht übersensibel überdreht (man könnte es „hysterisch“ nennen ;)) in dieser Feinfühligkeit. 
Durch das Yogapraktizieren hat sich ein klares Empfinden von materieller Struktur herausgebildet. 
Körperstruktur. 
Ich spüre jederzeit, dass ich aus Knochen, Muskeln, Sehnen, Bändern, Gewebe, Organen, Haut bestehe und dass sich nun das feine Wahrnehmen   d a r a u f   setzt. Sich das feine Wahrnehmen in all das und darüber hinaus hineinverströmt.
Durch den Atem.
Atembewusstsein. Atembewegung. Atemberührung. 
Immer.
Ich konnte schon immer sehr schnell in ganz feinen Wahrnehmungen sein, verlor dabei aber die Erdung. 
Fehlende Erdung macht mich lebensunfähig.
Sie macht, dass ich mein Leben nicht alltagtauglich bewältigen kann. 

 

Diese Art von Yoga hat mir gebracht, dass ich beides vereinen kann: Den Körper den ich als mein Gartenkloster sehe, wirklich auf allen Ebenen zu bewohnen und zu durchdringen
und   g l e i c h z e i t i g   das Feine zu leben, immer wagemutiger die Auflösung zu spüren.  
Das Verbundensein mit allem was mich umgibt erfahren zu können und dabei den Körper   n i c h t   zu verlassen. 

 

Obwohl ich sehr dankbar bin für das feine Fühlen, verstärken feine Wahrnehmungen   o h n e   Erdung (sprich ohne fühlbare Verkörperung zu sein), auf Dauer meine Lebensangstneigung und das möchte ich nicht. 
Ich möchte dieses Leben mit Zuversicht und mit Mut leben und dafür brauche ich den Körper. 
Um den Körper in all seiner pragmatischen Festigkeit zu spüren und ihn wirklich zu bewohnen, raus auch aus den Übermaß des mentalen Bereiches, übe ich IyengarYoga und gebe es in meinen Stunden weiter. 

 

Und wegen dieser „Verkörperung“, dem vollständigen Ankommen im Körper sein und z. B. nicht nur im Denken des Kopfes, ist das Üben von IyengarYoga (zunächst) so stark körperlich ausgerichtet und das löst manchmal echt Widerstand aus und Reibung und Irritationen.

Ja.

 

All dein Erleben dessen was da aufkommt in dir beim Üben ist normal. 

 

 

Bleib einfach dran und mit der Zeit kommt neben der Reibung und Abneigung immer mehr Frieden und reine Dankbarkeit für das Geschenk, das uns B. K. S. Iyengar gemacht hat, indem
er diese Weise Yoga zu üben durch sein eigenes lebenslanges Praktizieren und Forschen entwickelte.