Nachdenkliches

 

Vor einiger Zeit schon erreichte mich eine mich bewegende mail zu unserem Praxisweg – der Vipassana*Meditation. 

 

Ein langjährig intensiv Übender schrieb über seine Erfahrung der Entfaltung hin in ein verbundenes Inneres und Äußeres, die eine große Erfüllung bei gleichzeitiger gefasster Entgrenzung in sich trage. Diese Erfüllung sei so groß, dass er feststellte, nicht mehr richtig in unserer Gemeinschaft von Meditierenden zu sein, da andere Menschen an einem Punkt ihrer Praxis stünden, der sich für ihn jedoch erübrigen würde. Es müsse noch anderes mehr geben. 

 

Für mich sind das Momente, die Traurigkeit in mir aufkommen lassen, bei gleichzeitigem, umfassendem Verständnis für dieses Erleben. 

 

Zeit des Verstehens.

Zeit des Annehmens.  

Zeit des Abschieds. 

Zeit des Ziehen Lassens.

 

Da geht also wieder einer als neu Suchender. 

 

Auch ich bin, so merkwürdig sich das hier lesen mag, in den vergangenen Jahren meine eigenen suchenden Wege gegangen. Ich ließ “Buddhayoga/Vipassana-Jetzt” als Lehrort, Praktizierort und Ort der Gemeinschaft im inneren trotz äußerer Anwesenheit und Begleitung der Retreats hinter mir.

Ja, einige Zeit wendete ich mich weg von Buddhayoga als Gemeinschaft – obwohl ich selbst ein wesentlicher Teil von Buddhayoga bin und obwohl ich weiter praktizierte. 

 

 

 

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Und dann kam vor langen Monaten der Moment der erneuten Hinwendung.

Die große Erkenntnis der Zeit der Wegwendung war diese:

 

Irgendwann auf unserem Weg kommen wir an den Punkt, an dem wir keinen Lehrer mehr brauchen. 

An dem wir den Lehrern als äußere Autorität entwachsen sind. 

An dem wir die Lehrer hinter uns lassen, weil 

  • die eigene „innere Lehrerin“, der eigene „innere Lehrer“ als maßgebliche Autorität stark entfaltet ist 
  • klar ist, was zu tun ist und was zu lassen. 
  • klar ist, wie “es” sich entfaltet, wenn man dranbleibt. 
  • klar ist, was wie wirkt. 
  • klar ist, was ansteht. 

 

Doch erst nach längerer Zeit wird auch klar: 

Wir brauchen zwar keine äußere Lehrerautorität mehr, aber was wir brauchen ist Gemeinschaft.

Was wir brauchen, ist das Gefühl von Verbundenheit mit Menschen die ihren Weg gehen. 

Was wir brauchen, ist das gemeinsam auf dem ganz eigenen Weg sein.

Was wir brauchen, sind Menschen die uns inspirieren.

Was wir brauchen sind Orte des Austausches, des Zusammenkommens, des Zuhörens und des gehört Werdens, Verbindungen des Sehens und gesehen Werdens. Und des zusammen Schweigens. Frei von Worten zusammen sein können.

Was wir brauchen ist die aufrichtige, innere Begegnung von Mensch zu Mensch.

Begegnungen auf Augenhöhe.

Menschen, die sich zeigen.

Begegnungen des Herzens.

Begegnungen des Geistes. 

Menschen, die mit uns stehen können.

 

Nebeneinander.

 

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Vipassana – Einsichtsmeditation ist ein Befreiungsweg, auf dem es nach einer Zeit kein oben und unten mehr geben wird.

Kein oben und unten mehr geben kann.  

Weil es ein Befreiungsweg ist. 

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Jeder spirituelle Weg sollte zu einem mehr an diesen Begegnungen, zu einem mehr an Verbindung führen. 

Mit mir selbst und mit allem was mich umgibt.

Mit den Pflanzen, den Tieren, den Mit-Menschen.

Mit unserer Mitwelt und dem ganzen intensiven Leben, dass uns gegeben wurde.

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Miteinander. Nebeneinander. Voreinander. Hintereinander.

Füreinander. 

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Ob die Praxis greift, zeigt sich in einem wachsenden Mitgefühl für die eigenen Ängste, Sorgen und Nöte und für die Ängste, Sorgen und Nöte anderer Lebewesen. Zeigt sich in der Blüte der Entfaltung von Verbundenheit, einer aufrichtigen, natürlichen Fähigkeit zur Freundlichkeit und Nähe und einer klaren und manchmal auch geschärften Friedlichkeit, die das Handeln begleitet.  

Ob die Praxis greift, zeigt sich in ihrer ganzen Fülle nicht nur in dem Gefühl inniger Erfüllung und der Fähigkeit zur Erfühlung, sondern es zeigt sich am deutlichsten in den schwierigen intensiven Lebensmomenten, in den herausfordernden intensiven Lebensphasen & und den uns bedrängenden intensiven Lebenssituationen. 

Sind wir in der Lage mit den alten, aus den Zellen aufwallenden oder den neu einströmenden Lebensschmerzen die unweigerlich gerade auch mit dieser erweiterten Sensibilität des Erfühlenkönnens und Erfülltseins auf uns zukommen und sich zeigen werden, zu sein ohne zu leiden?

 

Sind wir in der Lage, uns vom Schmerz des Lebens erfüllen zu lassen und darin zu sein? 

Bleiben wir auch dann verbunden?

Ruhend?

Friedlich?

Präsent? 

Wach?

Auch wenn das Leben uns schüttelt? 

Bzw. finden wir auch während der immer wieder sich in uns erhebenden, natürlichen Turbulenzen in den ruhenden Kern des Lebens?

 

 

In den uns sehr fordernden Lebenssituationen finden wir die Wahrheit. 

Die Wahrheit über die Tiefe der Verankerung, die Tiefe der Verbundenheit, die Tiefe der verankerten Entgrenztheit, der Wahrhaftigkeit der Verbindung von Innen und Außen. Die Wahrheit unseres wachsenden Mitgefühls.  

 

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Meine Beobachtung ist, dass fast alle Menschen die lange mit uns üben, irgendwann durch eine Phase der Abwendung gehen. Sie kommen an im allein praktizieren. Allein praktizieren wollen und allein praktizieren müssen. 

Sie kommen an in der (schmerzhaften) Loslösung vom Lehrer als Autorität.

In der (schmerzhaften) Loslösung aus der Gemeinschaft.  

Als Teil des eigenen Weges. 

 

Sie kommen an im Zweifel, ob die nach langen Jahren gewachsene Leichtigkeit der Praxis nun alles sein soll: Immer wieder neu von Moment zu Moment erlebtes Atembewusstsein, Körperbewusstsein, Empfindungsbewusstsein, Gefühlsbewusstsein, Stimmungsbewusstsein, Geistbewusstsein, BewusstseinsBewusstsein und daraus resultierendes Handlungsbewusstsein. Mal mehr mal weniger durchdringend ausgeprägt. 

Was man über lange Jahre entfaltete, ist nun immer da (mal mehr mal weniger durchdringend ausgeprägt) oder innerhalb von wenigen Atemzügen präsent.

Es ist erfüllend und lang weilend zugleich.

Mal mehr mal weniger durchdringend ausgeprägt.

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Meine Beobachtung ist außerdem, dass viele, nicht alle, irgendwann wieder neu sich zur Gemeinschaft und dem Lehrer hinwenden und bewusst neu anknüpfen, weil sie den Reichtum von Gemeinschaft erkennen und den Lehrer nun als Verbinder dieser Gemeinschaft neu anerkennen können.  

Sie kommen an darin, dass in der Gemeinschaft der Menschen jeder an seinem Punkt steht und wir alle voneinander lernen.  

Und sie kommen an im Lehrer = Beispiel & Begleiter sein. Auf ganz natürliche Weise. Ohne es gesucht zu haben. Ohne Lehrer = Beispiel& Begleiter sein zu wollen. Das Leben selbst macht uns dazu. Das Leben macht uns zu Begleitern. 

Nach Jahren des Empfangens von Weisheit & Wissen, Aufmerksamkeit, Hinwendung, Präsenz, Mitgefühl, Konfrontation, Sichtbarmachen  werden wir auf organische Weise zu Gebenden.  

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Und wir kommen an in Demut. 

In einer tiefen Verneigung vor der, über lange Jahre als komplex erlebten, sich nun offenbarenden Einfachheit der Praxis, die manchmal wirklich stink langweilig sein kann.

Aufwachen hinein in die Entfaltung über die Zeit ist erst anstrengend, dann ein stetiges Bemühen und schleichend plötzlich wird es Normalität und lang weilend. 

Völlig unspektakulär.

Neulich hörte ich den wunderbaren Satz:

„Gott ist leise …“

Auch Aufwachen geschieht *meist* leise …

Ja.

 

 

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Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir auf spirituellen Wegen Begleitung brauchen. 

Ein Miteinander begleitet sein durch Menschen, die ebenso bereit sind, tief in ihr DaSein und Erleben zu schauen. 

In Verantwortung zu gehen. 

Für sich selbst, ihre Erfahrungen, ihre Reaktionen, ihren Schmerz. 

Und ob das nun ein Meditationsgrüppchen ist oder ein Zusammenkommen anderer Menschen ist völlig egal. 

Denn wir können unseren Weg nicht allein gehen. 

Auch wenn wir diesen Weg ganz allein in unseren Verkörperungen gehen müssen.

Und doch können wir ihn nicht allein gehen. 

Wir brauchen uns Menschen.

Für ein wahrhaftes Menschwerden und Menschsein können   

b r a u c h e n   

wir einander.

 

 

D A S   ist unsere Natur 

 

 

… mit     (viel)     R a u m     dazwischen

 

 

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