Shavasana

 

Ich liege

Weich, den Kopf nach hinten gestreckt, das Kinn angehoben,  die Hände ruhen auf meinem Bauch. Die Augen geschlossen. Meine Schultern sind entspannt. Das Sonnengeflecht vibriert rhythmisch. Zieht. In mir pulsierende  Aufregung.

Ich trage weite fließende Kleidung, nichts engt, nichts drängt. Doch!
Die Stiefel müssen aus. Ja, ich brauche freie Füße. Ich öffne die Augen, setze mich auf, beuge mich und streife die Stiefel von meinen Füßen. Dann lasse ich mich wieder zurücksinken. Schließe die Augen. Komme erneut an im Liegen. Spüre die Veränderung. Ja.  So ist es gut.

Eine Tür geht auf und schließt sich wieder. Schritte. Um mich herum nun Stimmen, knistern und rascheln von Plastik. Tüten  werden aufgerissen. Dinge hin und her geschoben. Die Luft die ich einatme ist metallisch rein. „Wir decken sie jetzt steril ab.“ Ein Tuch berührt mein Gesicht, meinen Oberkörper. Hände, die etwas leichtes kleines auf meinen Brustkorb legen. Eine Hand an meiner  Schulter.

Ich atme. Einatmen – ausatmen. Die ganze Länge jedes Atemzugs beobachtend, weite ich meine Aufmerksamkeit immer feiner auf meinen Körper aus. Der Brustkorb-Bauchraum der sich hebt und senkt, das kühle Strömen in meine Nase hinein, das warme feuchte Strömen aus meiner Nase hinaus, die atmenden Rippen, der atmende Rücken.

„Und jetzt öffnen sie bitte weit ihren Mund.“

Mein Herz schlägt laut in mir. Wellen von Wärme rollen durch mich hindurch. Die Handinnenflächen werden feucht, die Schultern wollen sich hoch und zusammen  ziehen. Doch noch immer bleibt mein Denken an das Beobachten meiner Körperreaktionen gebunden. Gut so! Jetzt keine schwierigen Gedanken zu  Gedankenketten verknüpfen.

Ja
Weich werden – loslassen. Immer wieder loslassen

Während ich mit weit geöffnetem Mund für die kommenden 20 Minuten  auf dem Zahnarztstuhl liege und bei nun erklingender Musik die Eroberung meines Oberkiefers erlebe, ist es das was ich tue: atmen, bewusst, jeder Atemzug bewusst, einatmen – ausatmen, die ganze Länge jedes Atemzugs bewusst erleben, erleben wie der ganze Körper atmet, und weich werden, immer wieder weich werden. Ich nehme das Ziehen und Glucksen  in meinem Bauch wahr, die kribbelnde Aufregung die in meinen  Blutgefäßen strömt, spüre, wie jedes neue durchdringende Kreischen der Maschinen eine andere Spannung in meinen Körper einlädt.

Und lasse sie los

Immer wieder wandere ich an die Orte in mir, die sich ob des kraftvollen Hineinarbeitens in meinen Oberkiefer mit Hilfe von Sägen  und Bohrern und Feilen verkrampfen wollen. Immer wieder lege ich mich  ganz ab auf den Zahnarztstuhl. Die Füße, die Beine, mein Becken – ablegen, weich bleiben, der Rücken, der Bauch, meine Finger und Hände – weich bleiben, schmelzen. Immer wieder löse ich die Spannungen in den Schultern, den Oberarmen. Atme.

Irgendwann liege ich am Donnerstagnachmittag, einem grauen Novembertag, im grünen Zahnarztstuhl einer großen Arztpraxis in Wuppertal, tief sinkend in Shavasana und lasse an der Oberfläche geschehen was gerade geschieht. Ohne Widerstand – ohne einen Gedanken.

Und dann ist sie da, die Angst. Sie blüht auf, als der dynamische ältere Arzt mich mit großen braunen Augen und wissender Autorität einstimmt auf die kommenden Tage. „Also, sie werden höllisch starke Schmerzen bekommen. Sie müssen kühlen und unbedingt Schmerzmittel nehmen. Haben sie was Zuhause?“ „Das habe ich nicht und ich habe auch nicht vor, Schmerzmittel zu nehmen.“, entgegne ich trotz einem Rumoren im Bauch und dem plötzlichen Gefühl, gleich mal unbedingt zur Toilette zu müssen tapfer. Aufgrund meiner Empfindsamkeit gegenüber Medikamenten und deren Nebenwirkungen bin ich entschlossen die kommenden Tage durch den Schmerz zu gehen. Mitleidig, als sei ich ein bisschen verrückt, schaut er mich an, lässt mir ein Privatrezept ausschreiben und 3 Tabletten mitgeben. Für sofort.

 

Heute, vier Tage später, ist die leichte Schwellung in meinem Gesicht  am Abklingen. Die Wange kribbelt und strömt und schwingt, wird abwechselnd warm und kühl, die Schwellung wandert langsam nach unten, der Oberkiefer vibriert.

Und die höllischen Schmerzen?

Ich hatte keine

Shavasana im Zahnarztstuhl wirkt