Altmodisch sein

 

An diesen Spätsommertagen im September sitze ich jeden Tag neu mit meinem alten, kleinen Minilaptop an der Rückseite meiner großen Kirche auf einer der Bänke und bin damit beschäftigt, meine Webseite zu überdenken und umzuschreiben. 

Mein Wegzug von Wuppertal und meine nun Heimkehr in Dresden bringen viel Neues mit sich. 

Ein neues Erleben. Neue Gedanken. Umfängliche Gefühle. Viele Möglichkeiten. 

Für mich. 

Und für dich die oder der du vielleicht einmal hier bei mir in Dresden sein möchtest, auch. 

 

Seit Tagen beschäftigt mich die Frage, ob ich nun auch endlich eine neue Webseite brauche. 

Einen neuen Stil. 

Zum schnellen runterrollen. 

Alles kurz und knackig. 

Mit vielen Fotos. 

Sofort die Kernaussage treffend. 

Mit zügigem Überblick in zwei Minuten beim Warten auf den Bus. 

In großer Schrift. 

Zeitgemäß. 

Der Zeit gemäß. 

Also: Handykompatibel.

Mmh. 

 

Doch die ganze Zeit über wehrt sich etwas in mir.

Ich wehre mich gegen den vorrangig durch das Außen bedingten Gedanken, verändern zu müssen, um mit der Zeit zu gehen. Um modern zu sein. 

Ich wehre mich, weil ich keine Lust darauf habe, alles neu zu machen.

Ich wehre mich, weil ich wirklich echt nicht gerne am PC sitze. An all die technischen Eskapaden die mir dann mit Sicherheit begegnen, gar nicht zu denken. 

Und ich wehre mich, weil ich die Langsamkeit liebe. 

 

Und so entschied ich heute nach dem Aufwachen noch im Bett liegend und in den sehr frühen Morgenhimmel schauend, dass diese Seite so bleibt wie sie ist. 

Nix mit schnell mal runterscrollen und alles fix erfassen. Handykompatibel. In den schnellen zwei Minuten beim Warten auf den Bus. Oder weil doch tatsächlich gerade da hinten links um die Ecke das merkwürdige Gefühl der Langeweile auftaucht. 

Und auch nicht mit eingefügter Iyengaryogalehrerinnen-Marke, die beweist, dass ich seit 2021 und mit 18 Jahren Praxis, Iyengaryogalehrerin bin. 

 

Alles bleibt wie immer. 

Denn abgelebt, ja abgelebt, ist meine Seite nicht. 

 

Und ich möchte, dass du als der Mensch der hier liest, eingeladen wirst zu verlangsamen. 

Eingeladen wirst zu entscheiden, was du jetzt lesen möchtest. Und was du vielleicht nicht jetzt, sondern irgendwann einmal entdeckst. 

Eingeladen wirst, über die Seite zu gleiten, so als würdest du mit deinem Finger über die Zeilen eines Buches streichen oder eine Seite umblättern. 

Eingeladen wirst ins Warten, ins Entdecken und in die Zeit die keine ist. 

 

Ja. 

Heute morgen wurde es in mir entschieden. 

Nach dem Aufwachen. 

Noch im Bett liegend.

In den sehr frühen Morgenhimmel schauend. 

 

Ich bin dann wohl mal wieder etwas altmodisch. 

Und es braucht noch immer ein klitzeklitzeklitzekleines bisschen Mut, altmodisch zu sein. Rückständig. Nicht mit der Zeit gehend. Ein bisschen unmodern und überholt und vorgestrig. Verzopft und altväterisch. Konservativ, um nicht zu sagen steinzeitlich. 

All das sind die Worte, die ich unter altmodisch finde. 

Ich mag das Wort altmodisch sehr. Und altmodisch bin ich meist sehr gern. Für mich ist altmodisch sein ein Wert, den ich mit Vorliebe ein kleines bisschen verkörpere. Wenn jemand von mir sagt, ich sei altmodisch, fühle ich mich geehrt. 

 

Neulich war ich mit dem Rad in Meißen. Ca. 25 Kilometer von hier immer an der Elbe entlang. Ein regnerisch-sonnig-kühler Frühherbsttag. Saftiges dunkles Grün. Das dunkle Blau des glitzernd langsam fließenden Wassers im weiten Elbtal. Der Duft der üppig tragenden Apfelbäume. Die dunklen Pflaumen auf den Wegen. Die ersten runtergefallenen Kastanien. Die saftigen BauernBlumenGärten rechts und links mit Tomatentüten für 2,00 EUR auf niedrigen Campingtischen vor der Gartentür. Pferdekoppeln und die Melancholie des schon längst spürbaren Herbstes begleiten mich. 

In Meißen entdecke ich dank einer meiner ganz nahen Frauen einen kleinen Buchladen. 

Die Krämerei und Depotbuchhandlung, Verlagshaus Jacobi & Stuart von Herrn Mütterlein. 

Ein älterer, aufrechter, eleganter Herr mit weißem langem, wohlgepflegten Rauschebart. Im hellblauen, britisch anmutendem Sakko. Mit Krawatte. Ein kraftvoll eigensinniger Schöngeist mit einem Lädchen voller Bücher. Jedes einzelne Buch so gelegt, dass es mit seinem ganzen Einband sichtbar ist. Jedes einzelne Buch in diesem kleinen Laden darf ganz gesehen werden. Keines muss zurück treten.   

Jedes einzelne Buch eine Kostbarkeit, die man nicht so einfach findet. 

Herzensbücher. 

In und aus Liebe geschriebene und mit dem Herzen gezauberte Kunstwerke für die zurückgezogenen Stunden im Alltag. Kinderbücher. Auch für uns Erwachsene.

Bücher zum Verlieben. 

 

Ich könnte jedes einzelne kaufen. Sofort. 

Ich laufe langsam an den Büchern entlang. Gleite mit meinen Fingerspitzen über sie. Rieche ihren Duft.  Jedes Buch ist sorgsam umschlungen mit einem cremeweißen, dünnen Seidenband, an das ein rundes Büttenpapier geklebt ist mit dem handschriftlich geschriebenen Preis. 

Mein Herz. 

Mein Herz. 

 

Soviel Sorgfalt.

Soviel Respekt gegenüber der Schönheit von Büchern mit ihren Wörtern.

So viele Kostbarkeiten an einem einzigen kleinen Ort in der Meißener Altstadt. 

 

Bücher. 

 

Als ich 2012 von Cottbus wegging, liess ich meine Bücher zurück.

Verschenkt. 

Weggegeben.  

So gut wie alle. 

Das war eine schmerzvolle und zugleich klar bewusste Entscheidung. 

Ich wollte die Welt der fremden Papierleben und Geschichten und Gedanken die mich vor allen in der Jugend und jungen Jahren begleiteten, hinter mir lassen und ganz eintauchen in mich. Ganz eintauchen in das völlig neue Leben, für das ich mich entschieden hatte. 

 

Ein Leben der Meditation. 

 

Ein Leben für die  Menschen, die zu uns finden, um die Stille in sich,  s i c h  zu entdecken.

Und ich wollte mir und dem was in mir ist, besser lauschen können. Befreit von einem Übermaß an äußeren Reizen. 

Frei von der inspirierenden *Ab*Lenkung durch Bücher.

Frei auch von Musik und ihrer Wirkung. 

Frei von Nachrichten aus der großen weiten Welt. 

Frei von Zeitungen.

 

10 Jahre lang aus der Zeit und mittendrin daneben. 

 

10 Jahre lang vorrangig

Kochen. Meditation. Yoga. Büroarbeit.

Entdecken. Durchstehen. Durchschreiten. Durchfühlen.

Zeit zum Heilen.

Ganz langsam.

 

Seit einiger Zeit nun kehren die Bücher zu mir zurück. 

Auch ganz langsam & meist sehr sorgsam ausgewählt. 

Was will ich wirklich lesen. 

Was nährt mich. 

Was zieht mich weg.

Was ist wirklich meins.

Was passt jetzt gerade.  

 

Bücher. 

 

Meist in geborgter Form.

Meist auf Empfehlung.

 

In den letzten langen Jahren konnte ich genau beobachten, was ich wirklich in meinem Leben brauche. Meine 5 Monate ohne Wohnung, alle Besitztümer eingelagert im Stall meiner Tante, haben das ganze noch vertieft. 

Und obwohl nun all mein Hab und Gut wieder bei mir ist (was mir wirklich erst einmal sehr sehr schwer fiel, am liebsten hätte ich meine großzügigen Räume so gut wie leer gelassen) darf mein Leben auf das Wesentliche zurückgebracht bleiben. 

Kein zu viel an schnick schnack. 

Ja. 

Immer wieder neu: Was braucht es wirklich ohne in die Askese zu fallen, in das Übermaß an Selbstbeschränkung? Wie kann ich immer mehr in der Essenz leben, mit ihrer ihr innewohnenden enormen Fülle und Großzügigkeit? 

 

Und die für mich ganz wesentliche Frage: 

Verbindet sich in dem was ich besitze oder im Rahmen meines Einziehens hier in Dresden neu kaufe, verbindet sich darin das alltäglich Nützliche mit dem Schönen?

 

Allen Menschen die mich hier in Dresden besuchen und mir etwas schenken wollen, sage ich, dass ich nichts brauche. Dass ich wirklich alles habe, was es braucht. 

Alles. 

Nichts mehr ansammeln. 

Ich besitze schon längst a l l e s   w e s e n tliche. 

 

Und da das für die Menschen um mich herum nicht so leicht auszuhalten ist (und ich sage dir, das eigentliche Geschenk bist DU und unsere gemeinsam verbrachte Zeit. Einander Zeit zu schenken, ganz bewusst, ist mir die größte Freude), bin ich dieser Tage doch auf einige Dinge gekommen, die immer passend sind und für den Rest meines Lebens wohl immer passend sein werden.

Das sind:

  • Blüten
  • Bienenwachskerzen
  • gute, am besten die eigenen Lieblingsnascherein, Pralinen & Gebäck (mmh, Shortbread z. B. mag ich wirklich sehr)
  • & generell essbare Kostbarkeiten, gern aus aller Herren Länder. Ein gutes Olivenöl – phantastisch. Neulich bekam ich ein halbes Brot von einem mit langer Sauerteigführung backenden Bäcker und dazu selbst gedörrte Gartentomaten mit Rosmarin & Salz. Wenn ich das esse, könnt ich weinen vor Dankbarkeit. Was will ich mehr??? Oder selbstgemachte Erdbeermarmelade. In Knusperzucker gewendetes Quittenbrot. Pflaumenmus von den eigenen Bäumen. Ein schönes Gewürz. Ach es gibt so vieles was sich zeitnah und essend verbrauchen lässt und von meinem Körperchen dankbar verwandelt wird. Eine mitgebrachte Zucchini aus dem eigenen Garten. Kraftspendende Walnüsse für den Winter… 

 

Und manche Bücher übrigens oder auch Zitate oder manche Worte und Formulierungen sind für mich, als würde man eine Praline genießen… 

Der kraftvolle Schöngeist mit dem weißen Rauschebart, in seinem hellblauen, britisch anmutenden Sakko mit der Farbe seiner klaren und schelmisch blitzenden Augen und dem feinen hellgelben Hemd, sprach aufmerksam zurückgenommen, während wir ganz voller Ruhe die vielen wunderbaren Bücher behutsam auch mit den Fingerspitzen betrachteten: 

 

„Bitte sagen Sie mir, wenn ich Ihnen nützen kann.“  

 

Ach, altmodisch sein ist ein großes Vergnügen.

 

 

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„Krämerei Mütterlein, inhabergeführte handverlesene (Manufaktur-) Waren, Geschenke für die Seele und die Sinne, wohlfeil dargeboten, erwarten Sie in meiner „Krämerei“. Gut ist nicht genug, nur das Beste soll es sein! Immer neu gesucht und gefunden zum plaisier meiner hochverehrten Kundschaft, erwarte ich Sie mit Freuden im Herzen der Meißner Altstadt. Außerdem präsentiere ich Ihnen auserlesene Bücher aus dem „Haus der schönen Bücher“. Seien Sie mir willkommen zum kramen, freuen und kaufen! Mit vorzüglicher Hochachtung! Ihr Krämer Frank Mütterlein“

01662 Meißen . Markt 7 

 

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